■ Grüne Schlußfolgerungen aus bosnischen Erfahrungen: Nicht am Falschen festhalten
Die Frage des Standpunktes ist gelegentlich auch eine des Standortes. Wurde vor einem Jahr die bündnisgrüne Kontroverse über einen Einsatz der Bundeswehr im Bosnienkonflikt noch auf heimatlichem Terrain ausgetragen, so formulierten die Kontrahenten diesmal ihre Position gleich direkt in Bosnien. Dort hätte sie überprüft werden können. Doch nichts wurde darüber vermeldet, daß die Gesprächspartner der Bündnisgrünen mit deren Vorstellung, den Konflikt mit leicht bewaffneten „zivilen Kontingenten“ im Rahmen der UN oder OSZE zu regeln, konfrontiert wurden.
Diese Haltung, die der Bremer Parteitag der Bündnisgrünen vor einem Jahr beschlossen hatte, hat Parteisprecher Jürgen Trittin noch vor wenigen Wochen bekräftigt – auch im Hinblick auf einen Post-Ifor-Einsatz. Die Reaktion der bosnischen Gesprächspartner auf ihn, so steht zu vermuten, wäre ein mittleres bis schweres Kopfschütteln gewesen.
Was hernach von den Interventionsgegnern zu Protokoll gegeben wurde, läßt sich als beredtes Schweigen zusammenfassen. Das, so muß vermutet werden, wird wieder lauter, wenn der Resonanzboden der Partei in Schwingung gerät, wenn also wieder über Prinzipien gestritten werden kann und nicht gehandelt werden darf. Doch der Notwendigkeit, den Ifor-Einsatz zu verlängern, können sich die Grünen nicht verschließen. Historisch begründete Vorbehalte gegen ein Mitwirken werden ja selbst von den linken Grünen nicht mehr geäußert. Generell einem klassischen Blauhelmeinsatz den Vorzug zu geben, mag zwar richtig sein, entspricht aber nicht der Realität.
Das Lamento über eine vermeintliche Salamitaktik des Verteidigungsministers darf nicht verhehlen, daß die Anwesenheit deutscher Truppen in Bosnien auch im kommenden Jahr erforderlich ist. Bosnien ist nicht mehr das Exempel, an dem die Frage einer eigenen schlagkräftigen UN-Truppe statuiert werden kann. Um diese richtige Forderung wieder auf die Tagesordnung zu setzen, muß der Hebel an anderer Stelle angesetzt werden. Die Verweigerung der Zustimmung zu einem Post-Ifor-Einsatz in Bosnien ist dafür ungeeignet.
Vor einem Jahr haben sich die Bündnisgrünen mit ihrer Bosnien-Entscheidung in ein Dilemma begeben, weil sie das perspektivisch Richtige wollten, aber das konkret Falsche beschlossen. Aus dieser verzwickten Lage führt kein Weg raus, solange man am Falschen festhält. Dieter Rulff
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