Der Skandal ist ganz legal

Was kostet ein US-Präsident? Der teuerste Wahlkampf in der Geschichte der USA zeigt das Ausmaß der ganz gesetzestreuen Korruption  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Allen Prognosen zum Trotz: Der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf ist noch einmal interessant. Nicht etwa, weil der Herausforderer Bob Dole den enormen Vorsprung von Amtsinhaber Bill Clinton verkürzt hätte, sondern weil kurz vor den Wahlen wieder einmal die ungenierte Verfilzung von Dollars und Demokratie – auch Wahlkampffinanzierung genannt – in die Schlagzeilen gekommen ist.

Auf insgesamt zwei Milliarden Dollar werden sich die Kosten für diesen Wahlkampf um den Sitz im Weißen Haus, 34 Plätze im Senat sowie 435 Sitze im US-Repräsentantenhaus belaufen – ein Rekord in der US-Geschichte. Rund eine Million Dollar an Parteispenden aus den Kassen des indonesischen Familienimperiums der Riadys, denen das Banken-, Versicherungs- und Immobilienkonglomerat Lippo Group gehört, haben nun Bill Clinton und die Demokraten ins Kreuzfeuer der Kritik gebracht. Im Weißen Haus und im Wahlkampfteam des Präsidenten behauptet man, sich keiner Verstöße gegen Gesetze schuldig gemacht zu haben – und suspendierte doch vorsichtshalber einen der Top-Finanzbeschaffer.

Reporter des US-Magazins Newsweek blätterten in der Spenderliste der Demokraten ein wenig weiter und stießen auf eine Überweisung in Höhe von 20.000 Dollar von einem Kubano-Amerikaner namens Jorge Cabrera, der im Gegenzug an einem kleinen exklusiven Dinner mit Vizepräsident Al Gore teilnehmen durfte. Was niemandem aufgefallen sein will: Cabreras Vorstrafenregister geht bis auf das Jahr 1985 zurück. Einige Wochen nach dem Essen mit Gore wurde er wegen „Imports“ von 5.000 Pfund Kokain verhaftet. Einen „Skandal, größer als Watergate“, wittern nun Republikaner wie Newt Gingrich, während Clintons Kontrahent Bob Dole vom „Verrat am Vertrauen des Volkes“ spricht.

Die Vorwürfe kommen aus berufenem Munde: Gingrich, dessen Talent zur Geldbeschaffung legendär ist, steht ebenso im Verdacht, gegen Spendengesetze verstoßen zu haben, wie Dole. Einer seiner „fundraiser“, Geldbeschaffer, wurde gerade wegen illegaler Geldüberweisungen aus Hongkong auf das Konto der Republikaner vor Gericht schuldig gesprochen. Der Agro-Konzern Archer Daniels Midland, einer der größten Mäzene Doles, wurde vor zwei Wochen wegen illegaler Preisabsprachen verurteilt. Dole und Gingrich wiederum verhinderten maßgeblich die Verabschiedung eines Gesetzes zur Reform des Spendenwesens im Wahlkampf.

Aber der Skandal, so schrieb der US-Journalist Michael Kinsley schon vor einigen Jahren über die Geldmaschine Wahlkampf, „besteht nicht in dem, was illegal, sondern in dem, was erlaubt ist“. Das Ausmaß der legalen Korruption ist paradoxerweiser die Konseqeuenz einer ernstgemeinten Reform nach dem wohl größten Skandal in der US-Geschichte: Die Untersuchungen in der Watergate-Affäre gegen Richard Nixon und seine Berater führten auch die Verfilzung von Privatwirtschaft und Politik zu Tage. Nicht einmal 1.300 Einzelpersonen – Top-Manager, Anwälte, Konzernbosse – hatten den Wahlkampf beider Seiten mit über 50 Millionen Dollar geölt. 21 Firmen bekannten sich vor Gericht schuldig, illegale Spenden getätigt zu haben – darunter American Airlines und Gulf Oil. Nixons Nachfolger Gerald Ford sah sich gezwungen, umfassende Reformgesetze zu unterzeichnen: Einzelpersonen durften nur noch maximal 1.000 Dollar an einen Kandidaten spenden; eine Bundeswahlkommission wurde beauftragt, sämtliche Spendeneingänge aller Kandidaten zu registrieren und öffentlich zu machen; erstmals wurden Steuergelder zur Finanzierung von Wahlkämpfen bereitgestellt.

Doch innerhalb weniger Jahre waren Schlupflöcher gefunden. Ein Blick in die Spendenlisten der Kandidaten bei der Bundeswahlkommission – für jeden Bürger mit Computer abrufbar – zeigt, daß Einzelpersonen weit über die erlaubten 1.000 Dollar überweisen, indem sie fünf- oder sechsstellige Beträge auf Familienmitglieder und Firmenangestellte aufteilen. Industrieverbände, Versicherungskonzerne oder Gewerkschaften lenken Millionen von Dollars ganz legal über sogenannte Political Action Groups (PACs) auf die Konten ihrer Kandidaten. Die größten Beträge schaffen mittlerweile die Parteien heran. Spenden für politische Bildung, Wählermobilisierung oder -registrierung unterliegen keiner Begrenzung. Bedingung ist lediglich, daß diese Summen nicht für Wahlkampfpropaganda eines Kandidaten eingesetzt werden – woran sich mangels Durchsetzung durch die Bundeswahlkommission kaum jemand hält. Allein im ersten Halbjahr 1996 gingen beim Republican National Committee 35 Millionen Dollar, beim Democratic National Committee 36 Millionen Dollar an „soft money“ ein.

Bill Clinton, der vor vier Jahren mit dem Versprechen einer umfassenden Spendenreform angetreten war, hat sich längst mit Haut und Haaren dem „fundraising“ verschrieben. Seinen 50. Geburtstag nutzte der Präsident für eine Show in New Yorks Radio City Hall mit anschließendem Dinner. Eintrittspreis: 10.000 Dollar Minimum. Der Zugang zum Präsidenten hat seinen Preis, der genau in einer Liste des Democratic National Committee festgelegt wird: Wer 100.000 Dollar für des Präsidenten Wiederwahl spendet, hat Anrecht auf zwei Abendessen mit den Clintons, auf „Politikdiskussionen“ mit Kabinettsmitgliedern sowie die Teilnahme an Handelsmissionen. „Der Kauf des Präsidenten ist das heißeste Spiel in Washington“, schreibt der konservative Autor Kevin Phillips. Doch das eigentliche Problem, sagt seine Kollegin, die Journalistin Nina Totenberg, ist nicht das Ausmaß der legalen Korruption, sondern „der Grad der Gewöhnung der Leute an die Käuflichkeit der Politiker“. Die Folge: Zynismus und immer mehr Wahlenthaltungen.