Seit vier Wochen werden Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina "im Prinzip" abgeschoben. Die Umsetzung des Innenminister-Beschlusses ist in den Bundesländern jedoch sehr verschieden. Selbst dort, wo die Ausweisung beschlossene Sache ist, hängt

Seit vier Wochen werden Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina „im Prinzip“ abgeschoben. Die Umsetzung des Innenminister-Beschlusses ist in den Bundesländern jedoch sehr verschieden. Selbst dort, wo die Ausweisung beschlossene Sache ist, hängt die Zukunft der Flüchtlinge von Gut- oder Böswilligkeit der Behörden, vom Zugang zu Beratungsstellen und vom individuellen Durchsetzungsvermögen ab.

Ausländerrechtlich vogelfrei

Die Zukunft ist Ermessenssache und eine Sache von Glück. Wer zum Beispiel das Glück hat, an der südhessischen Landesgrenze zu leben, kann ruhig schlafen. Wen der Zufall fünf Kilometer weiter ins Nordbayerische verschlagen hat, lauscht auf jedes Geräusch an der Wohnungstür. Seit die Innenminister die „Rückführung“ von 320.000 bosnischen Kriegsflüchtlingen beschlossen haben, sind Willkür und Zufall, Chaos und Verunsicherung bestimmende Faktoren in der Flüchtlingspolitik.

Den 1. Oktober hatten die Innenminister im September als Stichtag für die „Rückführungen“ nach Bosnien festgelegt. Ein Datum, gewählt zur Wahrung eines Prinzips, denn in der Praxis hängt die Entscheidung – gegangen werden oder bleiben dürfen – nicht von dem Stichtag ab. Wichtiger für die Flüchtlinge ist das Bundesland, in dem sie leben. Und selbst dort, wo ihre strikte Ausweisung beschlossene Sache ist, bestimmen individuelle Zufallsfaktoren über die Zukunft: Gut- oder Böswilligkeit der Ausländerbehörde, Deutschkenntnisse, Zugang zu Beratungsstellen, genügend Geld und Durchsetzungsvermögen, um rechtliche Schritte gegen Abschiebungsandrohungen einzuleiten.

Am rigorosesten setzt erwartungsgemäß Bayern den Beschluß der Innenminister um. Alleinstehende BosnierInnen, die aus einer von 22 als „sicher“ eingestuften Zonen Bosniens stammen, müssen bei der Ausländerbehörde ihre Pässe abgeben. Im Gegenzug erhalten sie eine „Grenzübertrittsbescheinigung“, in der sie sich „zur unverzüglichen Ausreise“ verpflichten müssen. Die Stadt München gewährt dafür eine Frist von gerade mal zwei Tagen. Danach haben die Behörden grünes Licht für Abschiebungen. Vollzogen wurden diese Abschiebungen jedoch auch in Bayern bislang nur in wenigen Ausnahmefällen. Da Deutschland noch keinen formellen Rückübernahmevertrag mit Bosnien-Herzegowina unterzeichnet hat, mahnt derzeit selbst Bundesminister Kanther (CDU) seine Länderkollegen zu Zurückhaltung bei Zwangsmaßnahmen. Bei den Betroffenen zeigt die bayerische Praxis dennoch Wirkung: als psychologische Zermürbungstaktik. „Die Panik greift um sich“, konstatiert der Bayerische Flüchtlingsrat.

Ähnlich wie Bayern verfährt Berlin. Auch hier müssen alleinstehende Flüchtlinge, zur Gruppe I des Rückführungsprogramms deklariert, ihre Pässe abgeben und sind damit ausländerrechtlich vogelfrei. Die Prüfung, ob die Betroffenen aus einem Gebiet stammen, das für ihre Volksgruppe als sicher gilt, nimmt die Ausländerbehörde nur oberflächlich vor. So kann es passieren, daß ein Ehepartner zur Ausreise „vergattert“ wird, der andere aber noch bleiben darf.

Baden-Württemberg, mit 50.000 Flüchtlingen zweitgrößtes Aufnahmeland, operiert derzeit nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Rund 2.000 Flüchtlinge aus dem Kanton Una Sana hat Innenminister Schäuble brieflich vor die Alternative gestellt: Entweder sie wirken an einem geplanten, aber noch nicht begonnenen Modellprojekt für Wiederaufbau mit oder sie geraten in die Abschiebungsmaschinerie. Auch von Bosniern mit kroatischem Paß verlangt Baden-Württemberg die unverzügliche Ausreise.

Wie man mit einem gemeinsamen Ministerbeschluß anders umgehen kann, zeigen die rot-grün regierten Länder Hessen und NRW. Dort haben die Innenminister sämtliche Ausländerbehörden angewiesen, vor April 97 keine Maßnahmen gegen bosnische Flüchtlinge zu ergreifen und ihnen bis zu diesem Zeitpunkt Duldungen zu erteilen. Erst im Frühjahr soll, gestaffelt nach Familienstand und Herkunftsort, mit Rückführungen begonnen werden. Bis dahin sollen konkrete Erhebungen vorliegen, ob und wohin die Flüchtlinge tatsächlich zurückkehren könnten.

In einem – rechtlich umstrittenen Punkt – scheinen sich die Länderregierenden von SPD bis CSU jedoch weitgehend einig: Den bosnischen Flüchtlingen soll die Sozialhilfe um 20 Prozent gekürzt und nur noch in Form von Sachleistungen ausgezahlt werden. Da sie nunmehr „freiwillig“ zurückkehren könnten, so das Argument, hätten sie mögliche Abschiebehindernisse selbst zu vertreten und seien nicht mehr vom Kürzungskatalog des Asylbewerberleistungsgesetzes ausgenommen. Auch SPD-regierte Länder wie Niedersachsen haben diese Kürzungen jetzt angeordnet, Hessen prüft den Schritt noch, und NRW will die Leistungskürzungen dem Ermessen der Kommunen überlassen. Und die werden, als Kostenträger der Sozialhilfe, diese Sparmöglichkeit begierig nutzen. Vera Gaserow