Flucht aus der Kopflastigkeit

In Piräus ist Basketballer Christian Welp jener Star, der er in Deutschland bloß nominell war: Heute macht der „Held von München“ sein 100. Länderspiel  ■ Von Claudia Thomsen

Hamburg (taz) – Christian Welp zog es vor, sein Jersey auf der Herrentoilette zu wechseln. Sollten doch die Twens in der reichlich hoffnungslastig als future formation gepriesenen deutschen Basketball-Nationalmannschaft für jene juvenile Ausgelassenheit sorgen, die nach deren Verjüngungsprozeß (Durchschnittsalter 24,4 Jahre) von der Presse wohl erwartet wurde. Die Youngster ließen sich bei ihrer Präsentation vor dem heutigen EM-Qualifikationsspiel gegen den ungeschlagenen Tabellenführer Rußland tatsächlich nicht lumpen. Kichernd wechselten sie im Foyer eines weitab von jeder Erstklassigkeit rangierenden Hamburger Hotels für das zu knipsende Mannschaftsfoto T-Shirts mit Trikots.

Entblößt wurden dabei vorm versammelten Pressepulk jede Menge großformatige und „gutgebaute Oberkörper“, wie eine Fotografin erfreut bemerkte. Daß Christian Welp sich der fleischlichen Präsentation nicht anschloß, mag jedoch nicht allein seinen abgeklärten 32 Jahren geschuldet sein. Bei dem kompakten Center handelt es sich nämlich um den „Helden von München“, um jenen Mann also, der dem deutschen Team 1993 im EM-Finale gegen Rußland drei Sekunden vor der Schlußsirene per verwandeltem Freiwurf den Sieg bescherte. Und Helden haben, auch wenn sie wie Welp in Hamburg nicht immer als solche erkannt werden, das Recht, ein wenig aus der Reihe zu tanzen.

„Ich dachte, es wären schon viel mehr“, kommentiert der gebürtige Osnabrücker trocken seine Befindlichkeit vor dem heutigen Länderspiel, das sein 100. sein wird. Die DBB-Auswahl (vier Siege, eine Niederlage) muß da ihren qualifikationssichernden zweiten Gruppenplatz behaupten.

Acht Jahre verbrachte der Mann, dessen technische Varianz und filigrane Spielweise in seltsamem Kontrast zu seinem 2,13 Meter langen Körper stehen, in den USA. Drei davon war er Profi in der NBA. Geplagt von verletzungsbedingten Malaisen und frustriert darüber, einen Großteil seiner Zeit auf der Reservebank verbracht zu haben, kehrte Welp 1990 seinem „Traumland“ zumindest sportlich den Rücken.

Sechsmal wurde der Spieler, dessen schnittiges Outfit auf eine Vorliebe für Kämpfertypen à la Dolph Lundgren schließen läßt, danach mit dem Leverkusener TSV deutscher Meister, bevor er vor der laufenden Saison zum europäischen Spitzenteam Olympiakos Piräus wechselte. In Griechenland rangiert Basketball vor Fußball auf Rang eins der sportlichen Beliebtheitsskala. Dort wird Chris Welp als der Star behandelt, zu dem er in Deutschland ernannt wurde. „In Deutschland wird Basketball so kopflastig behandelt, in griechischen Hallen geht es mit Leuchtraketen und Geschrei ganz anders zur Sache. Derjenige, der die 100-Drachmen-Münzen auffegt, die die Fans aufs Feld werfen, könnte reich werden“, schwärmt Welp ungewohnt lebhaft. Wer will es dem Mann mit der nicht näher spezifizierten Vorliebe für „alternative Musik“ verübeln, daß er sich freut, der nicht eben überschäumenden Leverkusener Kulisse entkommen zu sein? 900.000 Mark in zwei Jahren soll Welp in Piräus verdienen. Das ist ein Polster, auf dem er sich zurücklehnen könnte. Daß er erneut in einer EM-Qualifikation mittut, mag an dem eher unrühmlichen Abschneiden der Deutschen bei der letzten EM in Athen liegen. Für einen, der als 20jähriger im Nationalteam debütierte, wäre das dann doch kein schöner Abgang gewesen.