Billigere Pillen für das Volk

■ Tabletten müssen nicht immer teuer sein: In Hamburg stellten Verbraucherzentralen eine Billigliste vor. Pharmaindustrie droht mit Klagen

Berlin (taz) – Zehn Tabletten „Penicillin Heyl“ kosten satte 55,84 Mark. Exakt den gleichen Wirkstoff und dieselbe Anzahl an Pillen enthält auch ein Penicillin- Präparat der Firma Jenapharm – doch für dieses Medikament müssen Krankenkassen und Patienten nur rund 35 Mark hinlegen. Seit gestern nun können sich die Kunden einen Überblick durch den Preiskampf der Pharmaindustrie verschaffen: In Hamburg wurde eine Liste veröffentlicht, die genau aufschlüsselt, welche der insgesamt 50.000 Präparate auf dem Arzneimittelmarkt besonders preiswert und wirksam sind.

Herausgeber dieser „Kieler Liste notwendiger Arzneimittel – Empfehlungen zum Arzneimittelgebrauch“, die der mittlerweile verbotenen „Berliner Positivliste“ sehr ähnlich ist, sind die Verbraucherzentralen Berlin, Niedersachsen, Hamburg, Baden-Württemberg und das Institut für angewandte Verbraucherforschung in Bonn.

Die Verbraucherzentralen hoffen, daß die für Allgemeinärzte entworfene Liste zu einem „sinnvolleren Arzneimittelgebrauch“ führe, sagte der Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg, Gunter Hörmann. Sie beziehe sich vor allen Dingen auf verschreibungspflichtige Medikamente.

Nach Angaben der Verbraucherzentralen geben die gesetzlichen Krankenkassen rund sieben Milliarden Mark jährlich für Medikamente aus, deren Wirkung umstritten oder nicht nachweisbar ist. Mindestens zwei Milliarden Mark pro Jahr könnten durch eine „rationale Arzneimitteltherapie“ eingespart werden. In der Kieler Liste sind deshalb nur 400 Wirkstoffe und 750 Fertigarzneimittel aufgeführt.

Der Bundesverband der Pharmaindustrie hat die Veröffentlichung der Liste gestern scharf kritisiert. Kein Wunder, denn der Umsatz der pharmazeutischen Industrie lag 1995 bei 32 Millarden Mark und stieg in der ersten Jahreshälfte 1996 um satte 6,5 Prozent. „Eine ausreichende und adäquate Versorgung mit Medikamenten ist durch diese Liste nicht mehr vorhanden“, glaubt der Sprecher der Pharmaindustrie, Thomas Postina. Es sei daher „sehr wahrscheinlich“, daß pharmazeutische Konzerne juristische Schritte gegen die Verbraucherzentralen beantragten. Denn mit der Veröffentlichung der Liste werde in den Wettbewerb eingegriffen.

Daß die Pharmaindustrie partout keine Arzneilisten zu Kostensenkungen im Gesundheitsbereich billigt, mußte bereits der Berliner Ärtzekammerpräsident Ellis Huber erfahren. Nachdem er im vergangenen Sommer die „Berliner Positivliste“ veröffentlichen wollte, wurde er mit einstweiligen Verfügungen von 14 Pharmakonzernen überzogen. Aufgrund der Klageflut muß Huber insgesamt 180.000 Mark Gerichtkosten zahlen. Kurz vorher hatte auch CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer eine Postivliste aus dem Gesundheitsreformgesetz gestrichen.

Die Verbraucherzentralen versuchen sich gegen erneute Klagen mit dem Argument zu schützen, daß es „die ureigenste Aufgabe der Verbraucherschutzorganisationen sei, Produkte zu untersuchen, zu bewerten und veröffentlichen“, so Helga Kuhn, Sprecherin der AG der Verbraucherverbände in Bonn. Ein wirtschaftliches Interesse sei damit nicht verbunden. Wenn diese Sichtweise vor Gericht nicht akzeptiert werde, „können wir unsere Arbeit einstellen“.

Eine erste Schlappe mußte jetzt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hinnehmen.

Auch sie wollte in den vergangenen Wochen eine Arzneisparliste im Deutschen Ärtzeblatt veröffentlichen. Sofort klagten drei pharmazeutische Unternehmen auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung. Das Landericht Hamburg fühlte sich nicht zuständig und verwies den Fall an das Sozialgericht Köln, äußerte sich aber trotzdem dazu. „Die Maßnahmen der KBV zu Einsparungen im Arzneimittelbudget“, so die Kammer, seien ein rechtswidriger Eingriff. Für den stellvertretenden Vorsitzenden der KBV, Peter Schwörer, hat diese Aussage jedoch „unverbindlichen Charakter“: „Wie gehen davon aus, daß wir unsere Liste auch sehr bald veröffentlichen.“ Julia Naumann