Fingererlebnis

■ Daniel Barenboim solo am Piano

So ein internationaler Starmusiker hat's nicht leicht. Organisieren und repräsentieren (als Intendant in Berlin an der Oper), dirigieren und Welttourneen absolvieren (als Chef zweier Orchester), kleine Spierenzchen mit Tangomusik und Freunden dazwischenschieben und jetzt auch noch eine Tournee als Solist am Piano. Das kriegen halt nicht alle so toll hin wie Justus Frantz.

Daniel Barenboim jedenfalls brauchte am Dienstag abend in der Musikhalle mindestens einen ganzen langen ersten Satz von Schuberts Sonate G-Dur D. 894, bevor die Wärme des Herzens seine Finger erreicht hatte. Steif wirkte er zunächst, untrainiert und viel zu laut an Stellen, die der sorgsamen Dialektik von Nähe und Ferne bedurft hätten.

In Andante und Menuett klang dann freilich, trotz gewisser Unebenheiten in Details, der Schubert-Ton auf: Barenboim kontrastierte orchestrale Großgesten mit zager Versenkung, war im ganz unfinalistischen Finale schließlich getragen nur noch von liedseligem Musikantentum. Nach der Pause in Brahms' Sonate Nr. 3 op. 5 ging es ähnlich: ein dynamisch etwas ungelenker Anfang, Unebenheiten im Kleinen bis zum Schluß. Je länger, desto beeindruckender und mitreißender fand er sich indes in die große Linie des Stücks, fand diesen brahmseigenen Ton hochkontrollierter Tändelei, scheinbar verklingender Liedchen, die dann ganze Sätze tragen. Das fetzige Scherzo war musikantisch hinreißend, das Trio ganz Einkehr.

Im Intermezzo Beethovens Klopfmotiv: untergründig allgegenwärtig. Das erste Thema des Finales gab er als Dialog, das zweite als Schwelgerei. Aus Choral und Hymne wurde endlich Fuge. Trotz deutlicher Fingerprobleme ein Erlebnis.

Überhaupt: Ein – keine Selbstverständlichkeit heutzutage – gar nicht langweiliger Abend. Fand auch das Publikum. Vier launige Zugaben. Schuberts f-Moll-Moment musical dabei, Chopins Minutenwalzer (1'32“) und Debussys Cake Walk. Stefan Siegert