Fallen

■ „Marianne Faithfull sings the songs of Kurt Weill“ im Schauspielhaus

Der Abend begann mit einer gräßlichen Reminiszenz: Marianne Faithfull fiel von der Bühne. Beim „Alabama Song“ hatte sie, den Scheinwerfer-Mond ansingend, die Bühnenbegrenzung übersehen und landete in der ersten Reihe auf dem Schoß von Peggy Parnass.

Doch so schlimm war das alles nicht. Als sie, hinkend und mit ihrer Stauchung kokettierend, zwei Zigarettenlängen später wieder erschien und vom Stehauf-Dasein der Diseuse sang, bekam sie alle Sympathie-Orden dieser Welt und durfte sie bis zum Schluß behalten.

Marianne Faithfull, Pop-Prinzessin, zusammen mit Mick Jagger Mittelpunkt im London der sechziger Jahre, Drogenwrack der siebziger, dann Balladensängerin, interpretierte vorgestern Songs der dreißiger Jahre, von Noel Coward, vor allem aber von Bert Brecht und Kurt Weill aus der Dreigroschenoper. Nicht nur begleitet, sondern gleichsam auf Händen getragen wurde sie von Paul Trueblood am Flügel.

Die 49jährige Faithfull war die perfekte Piraten-Jenny: Gemeiner, großkotziger und schlampiger war dem Schauspielhaus-Publikum noch nie „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich ,hoppla!'“ entgegengeworfen worden, allerdings auf englisch. Die Übersetzung war neu, modern, manchmal eckig und brauchte, um der Silbenzahl willen, mehr Adjektive als das Original. Auf diese Weise wurde aus Mackies Messer ein großes Messer, und Cleopatras Körper im „Salomon Song“ zerfiel zu Staub, der war auch wunderschön. Doch nicht nur deshalb bekam der „20th Century Blues“ ein paar Pop-Splitter ab. „Und dann gingen die beiden am Strand von Santa Monica spazieren...“: Faithfull erzählte mit der großen Geste der schlichten Entertainerin, wie sie sich Exil und Begegnung von Brecht und Weill vorstellte – nicht ohne sich darüber lustig zu machen: „Professor Faithfull, immer zu Ihren Diensten“.

Mit „As Tears Go By“, das Mick Jagger und Keith Richard Faithfull gewidmet haben, wurde das Publikum nach Hause geschickt – und mußte endlich keine Angst mehr haben, daß sie doch noch einmal die Balance verlieren würde. Ulrike Winkelmann/Foto: jms