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Zwischen den RillenHappy Autismus

■ Und doch mehr als Lalal'art pour l'art: Zartes von Wilco und The Schramms

Neo-Folk? New Country? New American Music? Oder doch lieber schön schwammig Americana? Merkwürdig verbraucht scheinen die Etiketten, mit denen zuletzt diverse Spielarten US-amerikanischer Roots-Musik unters Volk gebracht werden sollten. Das Volk, das deutsche zumindest, wollte ja auch nicht so recht. Und so ist das Bosseln am „guten Song“ mit traditioneller Anbindung längst wieder auf einen Nebenschauplatz des Popgeschehens entschwunden. Dort allerdings pflegen einige Aktive einen gar nicht mal so ungesunden „Autismus“, der nicht nur den Apologeten eines überholten „Authentizitäts“-Wahns Aufmunterung bescheren sollte.

Daß fortschreitende Ästhetisierung nicht zwangsläufig den Weg in selbstzufriedenes L'art- pour-l'art-Lala weisen muß, beweist beispielsweise „Being There“, das als zweites Album der Band Wilco verkauft wird, aber doch wohl eher als Solowerk ihres Songwriters und Sängers Jeff Tweedy interpretiert werden muß. Stand das erste Album („A.M.“) der Nachfolgeformation der einflußreichen Neo-Traditionalisten Uncle Tupelo noch ganz im Zeichen einer geradlinigen Country-Rock- Schaffe, so läßt Tweedy jetzt alle Erwartungshaltungen an sich abprallen: Hier fallen die Dinge eher auch mal auseinander, als daß sie immer nur zusammenkommen. So wäre „Being There“ mit immerhin 19 Songs zu Vinylzeiten eine prima Übung in der gefürchteten Disziplin „Doppelalbum“ geworden.

Souverän, doch auch gebrochen vermißt Tweedy geerdete Spiel- und Stilarten zwischen Byrds, Beach Boys und Big Star, zwischen „Was kostet die Welt“-Straßenromantik und verstörten Heimkehreretüden.

Das mag vielleicht schon eine Spur zu radikal und freigeistig sein für Menschen, die's immer ganz pur und straight haben wollen und „Nicht rockig genug“ grummeln. Aber vielleicht gerade deshalb auch für jene attraktiv, die sonst einen Bogen um eingangs erwähnte Schubladen machen und nicht nur hören wollen, wie die Stones stilvoll zu beerben sind.

Daß The Schramms anno 91 von Spex bis Spiegel zum „next big thing“ emporgeschrieben wurden, gehört rückblickend zu den bizarrsten Mißverständnissen der jüngeren Poprezeption. Dave Schramm, der zurückhaltende Vorsteher des Quartetts aus Hoboken, der im Gespräch die Eloquenz seiner Musik und Texte vermissen läßt, taugt einfach nicht zum Popstar. Und war wohl auch nie daran interessiert, einer zu werden.

Auch die Songs auf dem neuen, vierten Album „Dizzy Spell“ sind einfach nicht plakativ genug, um den emotionalen Massenwahn lostreten zu können – „catchy“ im besseren Sinne aber zuweilen schon. Einen Tribut an Emily Dickinson, deren Gedichte er bisher gern vertonte, verkneift sich Schramm diesmal. Wäre wohl nur zum müden Running Gag verkommen. Geblieben aber ist das Faible für formale Pretiosen, nicht nur in den eher dunkel-verhangenen Texten, sondern auch in der Manier, in der der Gitarrist Schramm mit der Klasse eines Tom Verlaine oder Richard Thompson in dissonant splitternden Sololäufen über die Stränge schlägt: Nicht wirklich Pop (heute weniger denn je), noch weniger wirklich Country (heute noch weniger denn je), also vielleicht doch am ehesten eine Art aufgeschlossener Folkrock, der auch durch Schramms sonoren Yankee-Drawl und die Kirmesorgel von George Usher Profil gewinnt.

Durchaus im Sinne des Albumtitels manifestiert sich in Songs wie „Heal Me Now“ eine schläfrige Weltabgewandtheit und Gelassenheit, ein müdes Erstaunen angesichts der ewigen Wiederkehr des gleichen: „Oh... everyday ist yesterday.“ Und: „There is wisdom in keeping still on an Merry-Go- Round.“ Was übertragen auch heißen könnte: Man muß ja nicht jeden Marketing-Schabernack mitmachen. Womit wir dann wieder bei den Etiketten wären. Jörg Feyer

Wilco: „Being There“. (WEA)

The Schramms: „Dizzy Spell“. (Blue Rose/Rough Trade)

Tourdaten Schramms: 7.11. Berlin; 8.11. Köln; 10.11. Frankfurt; 12.11. Hamburg; 13.11. Kiel; 15.11. Weikersheim; 18.11. München; 19.11. Erlangen; 20.11. Heilbronn; 22.11. Neustadt/Weinstraße; 26.11. Halle; 27.11. Dresden; 30.11. Göppingen

Tourdaten Wilco: 6.12. Köln; 7.12. München; 8.12. Berlin; 9.12. Hamburg

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