: Erhabene Symbolgestalt: Der Berg
In München wurde ein „Alpines Museum“ eröffnet. Für alle, die über die Naturromantik hinaus auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem organisierten Kraxeln nicht scheuen ■ Von Thomas Pampuch
Da, wo München am Älpischsten ist, auf der Praterinsel, wo dieser Tage wild die Isar rauscht, gibt es seit letzten Dienstag eine neue Attraktion. Dort steht ein frisch in sanftem Bayrisch-Barockgelb bemaltes ansehnliches Haus. „Alpines Museum“ steht daran, und nicht nur Bergwanderer und Kletterer werden ihre Freude an dieser neuen Perle der Münchner Museumslandschaft haben. Was da in dreijähriger Arbeit im Auftrag des Deutschen Alpenvereins (der seit 1948 in dem Gebäude seinen Verwaltungssitz hatte) entstanden ist, könnte zu einem Muß für alle werden, die sich über Seil- und Hakenromatik hinaus mit den ideengeschichtlichen Grundlagen des „Aufbruchs aus Arkadien“ beschäftigen wollen. Und für die, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem organisierten Kraxeln nicht scheuen.
5,7 Millionen Mark hat das Projekt gekostet. Abgesehen von dem Haus, das die Stadt schon seit 1908 dem DAV zur Nutzung zur Verfügung stellte, und einem kleinen Zuschuß stammt das gesamte Geld aus Spenden und Eigenmitteln des Alpenvereins. Das neue Museum knüpft an eine beachtliche – wenn auch nicht immer erfreuliche – Tradition an: Von 1908 an befand sich in dem 1887 als „Cafe Isarlust“ erbauten Gebäude das alte Alpine Museum des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. Mit sanftem Druck der Stadt und jahrelangem großem Engagement des Kulturreferenten des DAV, Helmuth Zebhauser, ist das Schmuckstück in Sichtweite des berühmten Deutschen Museums nun wieder seiner alten Bestimmung zugeführt worden.
Zebhauer und die Konservatorin Maike Trentin-Meyer (die als Leiterin des Museum fungieren wird) haben für die begrenzte Ausstellungsfläche – vier Räume im Parterre des Hauses – eine Konzeption erarbeitet, die mehr Denkanstöße geben will, als Faktengebirge aufzutürmen. Jeder Raum hat ein klar umrissenes Thema. Raum 1 handelt vom Aufbruch zu den Gipfeln. Mit Alexander von Humboldt und Horace Benedict de Saussure, der 1760 einen Preis für die Besteigung des Montblanc aussetzte, beginnt die Eroberung des Wildnis, als die das Hochgebirge bis dahin empfunden wurde. „Die Poesie ist hin. Das Rennen beginnt“, merkt der Museumstext angesichts der ausgebreiteten wissenschaftlichen Dokumente, Bücher und Expeditionsgeräte lapidar an. 1900 sind fast alle Gipfel der Alpen erstiegen und die wichtigsten Alpenvereine gegründet – von englischen Bergsteigern, österreichischen Naturwissenschaftlern und deutschen Bildungsbürgern. Erstmals taucht angesichts des um sich greifenden Hüttenbaus auch der Naturschutzgedanke auf: Die Errichtung des Zugspitzhauses führt dazu, daß sich die Münchner Sektion des DAV spaltet.
Raum 2 ist ein blaues Kunstkabinett und beschäftigt sich mit der „Schauweise des Alpinismus“. 18 Deckfarbenbilder des englischen Alpenmalers E. T. Compton aus der Zeit von 1883 – 1912 dokumentieren den „alpinistischen Realismus“ der Zeit: „Berge für Bergsteiger“. Aus 48 Schubladen in einem Sammlungsschrank in der Mitte des Raumes kann man zudem kostbare und lichtempfindliche Grafiken zur „Entwicklung der visuellen Wahrnehmung des Gebirges“ ziehen, die von einem echten Dürer bis zu Jugendstil und Expressionismus reichen.
„Stilwende“ ist das Thema des dritten Raumes. Hier geht es einerseits um den Naturlyrismus der Jahrhundertwende – nicht selten gepaart mit schwülstigem Nationalpathos – und die gleichzeitig mit Macht vordringenden neuen Techniken, die die Alpintouristik völlig verändern. Eisenbahn, Zahnradbahn, Fotografie und Film lassen die Alpen näherrücken, die der Bürger aber dann doch am liebsten metaphysisch umdunstet: der Berg als erhabene Symbolgestalt über all dem modernen Treiben. Für beide Tendenzen haben die Ausstellungsmacher schöne Exponate gefunden: Alte Kameras, das Laufrad der Wendelsteinbahn (1912), die Pelton-Turbine, die von 1928 an auf der Memminger Hütte in den Lechtaler Alpen Strom lieferte, kontrastieren sie mit den ästhetisierenden Bergbildern eines Erler, Wieland und Haider. Die ausgestellten Kletterwerkzeuge der Zeit belegen aber auch, daß mit dem neuen Jahrhundert die Phase des artifiziellen Kletterns beginnt: der Berg als Herausforderung.
Damit wird zum letzten Raum übergeleitet, der in einer überraschend kritischen Reflexion das himmelsstürmende Pathos des Alpinismus mit dem Weg in den Abgrund 1945 zusammenbindet. Mag der Titel dieses Kapitels – „Der Alpinismus gerät ins Netz der politischen Konstellationen“ – auch etwas vage-umständlich sein, die Exponate und Texte sind es nicht. „Wir wollten nichts unter den Teppich kehren“, meinte Zebhauer in der Pressepräsentation. Eine offene Auseinandersetzung mit der Geschichte des DAV sei nötig. Gezeigt wird die schrittweise Ideologisierung des Alpinismus von ersten Tendenzen in den heroischen Bergfilmen von Fanck, Trenker und Riefenstahl. Gezeigt wird auch der schleichende Rassismus im DAV, der 1933 in einem eigenen „Arierparagraphen“ des Vereins offen zum Ausdruck kommt, und das immer größere Zusammenrücken von Bergsteigen und Kriegsvorbereitung in der Nazizeit. Heldentum in der Wand und soldatische Tugend an der Front werden synonym.
Der zwangsläufige Absturz trifft dann auch den DAV. 1943/44 machen Fliegerbomben das alte Alpine Museum zur Ruine, 1945 wird der DAV vorübergehend verboten. Das neue Museum aber zeigt, daß der Verein auch Wanderungen durch dunkle Täler nicht mehr scheut.
Die Bibliothek im selben Haus (55.000 Bände) ist Dienstag- und Donnerstagnachmittag öffentlich zugänglich.
Der umfangreiche und empfehlenswerte Katalog „Zwischen Idylle und Tummelplatz“ ist im Buchhandel für 46 Mark, an der Museumskasse für 28,50 Mark erhältlich.
Im Februar 1997 wird mit Vortragsveranstaltungen begonnen. Daneben sind mehrmals im Jahr Sonderausstellungen zu aktuellen Themen geplant.
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