„Nicht heil davongekommen“

■ Öffentliche Bücherhallen luden zur ersten Solidaritäts-Lesung in eigener Sache: „Kultur in Hamburg: HöB gehört dazu“

Bekränzt von Stuck und Putten beschwört Hella Schwemer-Martinßen am Freitag abend im Café des Literaturhauses die „bürgerliche Spendentradition“. So leer sei die öffentliche Hand, daß man nun nach der privaten greifen müsse, appelliert die Chefin der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HöB).

Nach monatelangen Protesten der Leser-Basis, nach Debatten in Parlament und Presse wollen die HöB etwas Optimismus und Geld sammeln. Denn trotz 100.000 Unterschriften seien die HöB „nicht mit heiler Haut davongekommen“. Rund hundert Gäste hatten das kulturpolitische Entree von 300 Mark gezahlt, um dafür gut drei Stunden lang Heiter-Erbaulich-Klassisch-Komisch-Schreckliches vorgelesen und erzählt zu bekommen – von Jan Philipp Reemtsma, Harry Rowohlt, Will Quadflieg und der Performance-Künstlerin Lili Fischer, die diesmal auf ihr Honorar verzichten.

Als Soli-Beitrag trägt Jan Philipp Reemtsma Arno Schmidts Erzählung „Kühe in Halbtrauer“ vor – schnell, nicht atemlos, ernst, mithin locker von den Späßen derber Kerle lesend. Im Kichern des Publikums über Schmidts Prosa schwingt Erleichterung darüber mit, daß da einer nach vier Wochen zwischen Leben und Tod wieder dosierte Kontakte zur Öffentlichkeit wagt. Das Leben geht weiter, unter anderem dafür, wenigstens den verbliebenen Torso des öffentlichen Bibliothekswesens in Hamburg zu erhalten. Reemtsma erntet viel Applaus und drei Kastanien von Christoph Martin Wielands Grab als Dankeschön, überreicht von der Hamburger Autorin Regula Venske, die den Abend moderiert.

Harry Rowohlt, laut Venske der „Ire aus Hamburg“, erzählt und liest – als habe er die Story just in einem Pub aufgegabelt – aus dem Roman „Die Asche meiner Mutter“ von Frank McCourt, der soeben in Rowohlts Übersetzung bei Luchterhand erschien. Grimmig paffend scheint ihm das Erzählen zu gefallen, er macht vorlesend den zaghaften Knaben mit arglosem Säuseln oder den alten Lehrer mit kaltem Baß unerbittlich kenntlich, singt irisch und deutsch zum Steinerweichen, daß es auch die Herzen derer rührt, die ihm noch ein paar Whiskey schulden. Dem Romanhelden hingegen bleiben die Lexika der Bücherei im frommen Irland die Antworten auf Fragen nach seinem biologischen Ursprung schuldig. Später plädiert Harry „Pu“ Rowohlt am Rande für den unzensierten Zugang von Kindern zum Bücherschrank ihrer Eltern. Das habe er schließlich genauso gemacht und schon damals festgestellt, daß es „keine Unterschiede zwischen Literatur für Kinder oder Erwachsene gibt“.

Solidarisch greift Will Quadflieg ins Klassische, spricht auswendig die Ringparabel aus Lessings „Nathan“, kramt Schillers neunten Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen aus dem Gedächtnis hervor. Die Bücher, die er auf eine einsame Insel mitnehmen würde, scheint der Mann im Kopf zu haben.

Mit einer Bucheröffnung beschließt Lili Fischer den Reigen. Sie demonstriert einen Band für vier Hände und setzt, während sie eine Modell-Pose karikiert, dem Abend und der ersten von den HöB selbst organisierten Soli-Lesung ein ironisches Irrlicht auf: „Warum denn Streit, es geht doch auch so!“ Sehr passend, sehr lustig, wenn es nicht so traurig wäre, daß die HöB künftig wie andere öffentliche Institutionen immer mehr auf Spenden und Fund Raising angewiesen sein werden, während sich der Stadtstaat aus seiner Verantwortung verabschiedet. Julia Kossmann