Bier-Gefühl und Wir-Gefühl

■ Der Bremer Film „Torfsturm – eine rechte Jugendclique“ hatte am Freitag abend im Kino 46 Premiere – in Anwesenheit der Torfstürmer

War da nicht noch was? Ach, ja: die Senatorin! Nachdem Karl-Heinz Schmid vom Kino 46 schon „Film ab“ gerufen hatte, fiel ihm ein, daß ja Kultursenatorin Bringfriede Kahrs anwesend war, um der Premiere von Dagmar Gellerts Videofilm „Torfsturm“ am Freitag abend im Kommunalkino fürsorgliche Worte voranzustellen. Das Thema Rechtsextremismus müsse „geeignet bearbeitet werden“, forderte sie, offenlassend, ob denn „Torfsturm“ ein geeignetes Mittel dazu sei.

Torfsturm“ ist das einfühlsame Porträt – hier bietet sich das inflationär gebrauchte Wort einmal an – einer rechten Jugendclique aus Bremen, genauer: aus Findorff. Sechs Monate lang hat sich die Regisseurin zweimal wöchentlich mit den 16-18jährigen getroffen, hat lange Gespräche geführt, schließlich das Vertrauen der Clique gewinnen können, die sich über ihre rechte „Gesinnung“, der Ausdruck fällt oft, definiert. Gleich vorweg sei gesagt: Ein Verdienst, das sich Dagmar Gellert, Medienpädagogin beim Bildungssenator und freie Filmemacherin, mit „Torfsturm“ erworben hat, ist die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der die Jugendlichen – im Einzelinterview nette junge Leute in Freizeitkleidung und Fönfrisur – über ihre Ängste, Nöte und Bedürfnisse reden. Die akribische Vorarbeit, die nötig war, um sich in die emotionale Umlaufbahn der Jugendlichen einzuklinken, ist „Torfsturm“ deutlich anzumerken. Sie hat sich gelohnt.

Das war vor eineinhalb Jahren. „Torfsturm“, der Name rühre vom Findorffer Torfkanal her, nicht von der braunen Ideologie, sagt einer aus der Clique, hat sich mittlerweile aufgelöst. Trotzdem kamen die Ex-Torfstürmer zum Teil mit ihren Freundinnen und Eltern am Freitag ins schon lange ausverkaufte Kino, um sich der Diskussion nach dem Film zu stellen. „Unser Alltag besteht nicht aus Prügeln und Saufen“, beschwerte sich einer gleich mal, als das Licht im Kino wieder anging. Gleichviel: „Wer den großen Max raushängen läßt, wird weggeputzt“, definiert ein anderer Ex-Torfstürmer die Verhaltensregel der Clique, wenn Ärger mit Autonomen oder Ausländern droht. Und der droht schnell, schon deshalb, weil sich die Kontrahenten in der Freizeit nicht entgehen. Nachts in der Disco mischen sie die Türken auf oder werden von Türken aufgemischt; und linke Autonome haben die Findorffer auf ihrer Abschußliste, auf der ganz oben Markus Privenau rangiert, der es als „Kameradschaftsführer“ als seine Aufgabe ansah, die Freizeit der Jungs zu „gestalten“. Soll heißen: Schulungen durchführen, Organisieren von Rudolf-Heß-Gedenkmärschen, Rekrutieren von Neumitgliedern oder einfach mal eine Busfahrt in den Heidepark Soltau.

Auch dahin folgt die Regisseurin der Clique. Kampftrinken und Grölen im Bus nach Soltau, im Park gibt's dann Ärger, als sich jemand beschwert, daß einer der Jungs sich vordrängelt. Dagmar Gellert läßt einen der Torfstürmer referieren, was geschehen war, eine der nachdrücklichsten Szenen im Film: Pseudomilitärisch in Vokabular und Ton, doziert der wie ein Alter von der Notwendigkeit, CS-Gas eingesetzt zu haben. Kameradschaftsführer Privenau darf sich freuen: Hier hat seine braungefärbte Schulung entsprechend Früchte getragen.

Was sind das für Kids, die die Regisseurin in Findorff unter die Lupe genommen hat? Keine brutalen mediengerechten Skinheads, „keine Vollidioten“.

Gellert wollte einen Film über politisch rechts orientierte Jugendliche drehen. Die alle materiell relativ gut abgesichert sind, aber „extreme Angst vor dem sozialen Abstieg haben“. Fast alle von ihnen, erzählt Dagmar Gellert, haben Stiefväter. Oder der Großvater ersetzt den Vater; dessen Landser-Geschichten die Jungs dann prägen, ohne zwischengeschalteten väterlichen Filter. Und auch den Geschmack scheinen die Enkel von den Großeltern übernommen zu haben. Dagmar Gellert filmt sie in einem Möbelhaus, wo sich alle außer einem in biederen Polsterlandschaften und meterlangen Wandschränken von der Stange wohnlich aufgehoben fühlen. Der eine, zuhause sitzt er vor der Reichskriegsflagge, bevorzugt Altdeutsch.

Die Eltern, die die politischen Umtriebe ihrer Söhne entweder nicht wahrgenommen oder verdrängt haben, durfte die Regisseurin nicht vor die Kamera holen. Daran hat sie sich gehalten. Das „Doppelgesichtige“ an den Torfstürmern macht ihr Angst, ihr „zwischentonloses Umschlagen in Aggressivität“: zuhause kuschen, auf der Straße bei Bedarf die Sau rauslassen. In der Gruppe natürlich nur. Denn auch das wird deutlich in den Interviews: Alleinsein ist tödlich für die Jugendlichen. Deswegen, sagt einer, sind sie auch eifersüchtig auf die Türken, weil die „stärker zusammenhalten“. Ihr Bedürfnis nach einem Wir-Gefühl funktioniert denn auch oft nur als Bier-Gefühl.

Im Foyer standen die ehemaligen Torfstürmer artig rum. Vorher hatte Diskussionsleiter Thomas Mitscherlich – das Bremer Institut für Film/Fernsehen hat den Film produziert – sie noch gefragt, ob sie denn bestreiten, daß die deutsche Geschichte Opfer gefordert habe. Nein, sagt einer. Wir dürfen es nicht bestreiten, sagt ein anderer.

Alexander Musik

Heute und morgen nochmals im Kino 46, 19 Uhr.