Vom Aufstand des Konkreten

■ Kein „Glücksrad“: In Nordrhein-Westfalen bahnt sich ein neues Medieninstitut an – in Köln riefen seine Wegbereiter nun zur theoretischen Grundsteinlegung auf

Bekanntermaßen bringen „Medientagungen“ ihren Gegenstand oft unmerklich zum Verschwinden. Unter der Hand von Soziologen, Philosophen oder Komparatisten werden „Medien“ gern als das ganz andere des eigenen Wirkungsfelds verstanden und entsprechend unverwandt eher beschworen als beschrieben. Selbst Wissenschaftlern, die es gar nicht böse mit den Medien meinen, gerät ihre Definitionsarbeit dabei nolens volens zur Kriegserklärung. Der Germanist Georg Stanitzek hat gar eine „phraseologische Ausrichtung an den Vorgaben des Rittergenres“ ausgemacht: Vom Fehdehandschuh ist die Rede, von offenen Visiren und schließlich von der Herausforderung, die einem die „neuen Medien“ stellen.

Dabei kommt es regelmäßig zu einem Wertgefälle: Die „Medien“ sind immer schwatzhafter, substanzloser, flüchtiger und geschmacksverirrter als die Literatur. Es fällt auf, daß – im Gegensatz zur Kanonbeschreibung bei der Romanliteratur – nicht die Sternstunden des Fernsehens oder des Internets herangezogen werden, sondern sehr gern schlechte Talkshows, offene Kanäle, „Glücksräder“. Wenn man überhaupt den Eindruck hat, daß die Akteure selbst fernsehen. Mitunter sind die „Medien“ dann sogar gefährlich, und zwar jeweils für die Menschen da draußen.

Eine interuniversitäre Arbeitsgruppe mit der sperrigen Selbstbeschreibung „Sprache, Literatur, Kultur im Wandel ihrer medialen Bedingungen“ will sich nun für ein geisteswissenschaftliches Zentrum in Nordrhein-Westfalen stark machen, an dem die Hochschulen Aachen, Bonn, Düsseldorf und Köln beteiligt sind, und an dem, so jedenfalls das Programm, „der kulturkritische, antitechnische Affekt“ in Schach gehalten werden soll. Als die Arbeitsgruppe am vergangenen Wochenende zu ihrer Jahrestagung nach Köln lud, kam man deshalb nicht umhin, die präsentierten Texte auch als Gründungsurkunden, als Distinktionsgesten in Richtung auf bereits existierende Institute zu lesen. Ausdrücklich waren Journalisten geladen.

Es stellte sich dann heraus, daß in den allermeisten Fällen beinhart weiter von Literatur- oder jedenfalls Sprachtheorie aus auf die Medien zugegriffen wird. Auffällig häufig kam es dabei zu immer neuen Macht- und Überwältigungsszenarien: So beschrieb der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp, nachdem er sich der „theologischen Elemente der neuen Medientheorie“ entschlagen hatte, wie man das Internet als neuen Hobbesschen Leviathan lesen könnte, als bildlose Form eines gigantischen Disziplinierungsapparats. Es verschaffe zwar dem individuellen User ein Allmachtsgefühl, gerade durch die Überwindung alles Körperlichen, dieses aber täusche ihn nur darüber hinweg, daß er längst zum Spielball globaler ökonomischer Machtinteressen geworden sei. Die Frage, welche das seien, blieb im dunkeln zugunsten der Forderung, endlich der „Ideologiekritik“ wieder den ihr gebührenden Platz in der Ordnung der Dinge zuzubilligen.

Viele Zukunftsprognosen liefen auf ein hegelianisches Modell heraus: Eines Tages werden sich die Medien von aller Materialität befreien und vollends bei sich selbst angelangt sein. Was kommuniziert wird, das wird in diesem Modell immer unwichtiger. So beschrieb die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann in ihrem Vortrag „Das Gedächtnis der Buchstaben“, wie die Archive auf dem Weg von der analogen zur digitalen Datenverarbeitung künftig „automatisch“ entscheiden, was gespeichert wird.

Man wird den Eindruck nicht los, das vieles der neuen und nicht so neuen Medientheorie aus dem Verlust dessen entsteht, was Freud das „ozeanische Gefühl“ genannt hat: Überhaupt Medien als Mittler zwischen sich und der Umwelt zu brauchen, statt sie sich gemütlich direkt einzuverleiben, das kränkt.

Nicht zuletzt auf diesem Hintergrund beschrieb die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch am Beispiel der Pornographie, daß das Kino gerade deshalb auch unter Medientheoretikern Ressentiments auslöst, weil es unmittelbar körperliche Sensationen im Zuschauer hervorzurufen imstande sei. Reizung der Tränendrüsen oder des Zwerchfells ließe man sich da noch gerade gefallen (vielen ist auch das schon zu „effekthascherisch“), aber der Geschlechtsorgane? Hoppla!

Koch plädierte dafür, den amerikanischen Pragmatisten John Dewey, der inzwischen auch in der Poptheorie zu Ruhm und Ehren gelangt ist, um seinen Erfahrungsbegriff zu beleihen – ein Konzept, das bei den distanzierten Vorgehensweisen, wie sie sonst auf der Tagung gepflegt wurden, Stirnrunzeln hervorrief. Erst gegen Ende mehrten sich unzufriedene Einwürfe, die den „Aufstand des Konkreten“ forderten. Als jemand entgegnete, das Schicksal der Theorie sei es nun einmal, von den Produktionsformen oder der Rezeptionsforschung zu abstrahieren, warf der Germanist Martin Seel ein: „Nur solange die Theorie sich mit Theorie beschäftigt.“ Mariam Niroumand