Die „Tochter des Ostens“ ist gestürzt

Pakistans Staatspräsident setzt Regierungschefin Benazir Bhutto ab. Zahlreiche Korruptionsaffären und die Macht der Straße sind der einstigen Hoffnungsträgerin zum Verhängnis geworden  ■ Von Ahmad Taheri

Frankfurt/Main (taz) – Bleibt sie, oder bleibt sie nicht? Diese Frage stellten sich in den letzten Wochen die meisten Pakistani. Gestern fiel die Entscheidung: Staatspräsident Faruq Ahmad Khan Legari entließ seine Regierungschefin Benazir Bhutto und löste das Parlament auf. Die Befugnis dazu verleiht ihm die pakistanische Verfassung in besonderen Fällen. Voraussetzung ist das offizielle Einverständnis des Obersten Gerichtshofs sowie die stillschweigende Akzeptanz des Militärs.

Gestürzt wurde die „Tochter des Ostens“ allerdings durch die Macht der Straße. Seit Monaten demonstrierten Hunderttausende in den Städten am Indus, um die „Unvergleichliche“, wie Benazir auf deutsch heißt, aus Amt und Würden zu verjagen. Man wirft der 43jährigen vor, für Korruption, Nepotismus und wirtschaftliche Misere im Lande verantwortlich zu sein. Als Bhutto zu guter Letzt eine drastische Steuererhöhung sowie die Privatisierung des Bildungssektors verkündete, brach eine Welle gewaltsamer Aufstände aus. Ein Generalstreik legte das pakistanische Wirtschaftsleben lahm.

Bhutto wurde gestern faktisch unter Hausarrest gestellt. Die Armee riegelte im ganzen Land die Flughäfen ab. In der Hauptstadt Islamabad zogen Soldaten mit geschulterten Gewehren vor dem Parlamentsgebäude und vor Bhuttos Residenz auf. Bhuttos Telefon war abgestellt. Ein Sprecher von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei (PPP), Aftab Sherpao, erklärte: „Sie möchte sich mit ihren Parteifreunden, ihrem Zentralkomitee und der Presse treffen, aber sie kann nicht.“

Islamabad blieb gestern ruhig. Schulen und Geschäfte öffneten, als sei nichts geschehen. Einige Händler begrüßten die Absetzung Bhuttos mit Freudentänzen und einem kleinen Feuerwerk.

Es ist das zweite Mal, daß Bhutto wegen „Korruption und politischer Inkompetenz“ entmachtet wird. 1988, nach dem gewaltsamen Tod des Militärdiktators Zia ul-Haq an die Macht gekommen, blieb Benazir Bhutto nur 22 Monate im Amt. Die Demokratie und Pressefreiheit, die die Absolventin der Oxford University versprochen und eingelöst hatte, waren damals ihr Schicksal geworden. Die Zeitungen, die nach langer Militärherrschaft die Luft der Freiheit atmeten, machten Bhutto und ihre Partei zu ihrer Zielscheibe. Von nun an wurde in der pakistanischen Presse die schmutzige Wäsche des Hauses Bhutto gewaschen.

Ziel der Angriffe war vor allem der Ehemann der Regierungschefin, Ali Asef Zardari, ein skrupelloser Geschäftsmann, der sich als graue Eminenz der pakistanischen Politik gebärdete und gegen gutes Geld Posten und Pfründe verteilte. Zardari wurde gestern zusammen mit 20 weiteren PPP- Mitgliedern verhaftet.

Der Motor der Anti-Benazir- Bhutto-Bewegung ist die islamistische Dschama'at-e Islami (Islamische Versammlung), geführt von dem paschtunischen Theologen Ghazi Hussein Ahmad. Der Chef der mächtigsten islamistischen Organisation des Subkontinents mit weitverzweigten Verbindungen zum Ausland warf der Regierungschefin sogar die Beteiligung an einem Mordkomplott vor: Vor ein paar Wochen wurde Benazir Bhuttos Bruder, der die PPP gespalten und eine eigene Partei mit Namen Bhutto Schahid – Bhutto, der Märtyrer – gegründet hatte, vor seiner Villa in Karatschi ermordet. Benazir Bhuttos Ehemann sowie ihr Innenminister, Nasirullah Baber, sollen den Auftrag zum Mord an Morteza Bhutto gegeben haben.

Nach Bhuttos Absetzung hat der Staatspräsident einen 80jährigen ehemaligen Kampfgefährten Benazir Bhuttos, Miradsch Khaled, zum provisorischen Regierungschef ernannt. Laut Verfassung müssen innerhalb von 99 Tagen Neuwahlen stattfinden. Weil die Muslim Liga die derzeit stärkste politische Kraft im Lande ist, heißt der nächste Regierungschef mit großer Wahrscheinlichkeit Nawaz Sharif.

Porträt Seite 12