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Vor mildblauen Wänden

Variationen über den Zusammenhang von Kunst und Herrschaft: „Belacqua“, eine Collage aus kurzen Szenen, Prosatexten und Gedichten von Samuel Beckett im Zan Pollo Theater  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Auf seiner literarischen Reise durch das Fegefeuer begegnete Dante auch einem ganz besonders faulen Büßer: dem Florentiner Belacqua. Auf Vorhaltungen pflegte der träge Musiker zu Lebzeiten mit einem Aristoteles-Zitat zu antworten: „Sitzend und ruhend wird die Seele weise.“ Kein Wunder, daß Beckett von Belacqua angetan war und ihn sogar in seinem ersten Roman auftreten ließ. Nun hat das Zan Pollo Theater unter dem Titel „Belacqua“ Szenen, Prosatexte und Gedichte Becketts zu einer Collage verbunden.

„Trägheit ist von allen Leidenschaften die mächtigste“, plappert ein verschüchterter Literat in „Worte und Musik“. Er ist einem faulen Greis dienstbar, der ihn mit einem Pochen seines Stocks zu improvisierten Abhandlungen über alle möglichen Themen zwingt. Der Alte herrscht auch über ein Streichquartett, das nach seinem Wunsch spielt oder schweigt. Dann müssen Dichter und Musiker ihn gemeinsam unterhalten. Widerwillig beginnt der Mann zu singen, die Streicher nehmen die Melodie auf, und aus Thema und Variationen entsteht ein Stückchen wie vom frühen Haydn (Komposition: Ralf Bostelmann-Böhme).

Regisseurin Ilona Zarypow schöpft das komische Potential dieser Szene über Kunst und Herrschaft voll aus. Der Greis wird wütend, als bei dem Lied über das Alter das Wort „Bettpfanne“ vorkommt. Der Dichter zerreißt den Musikern die Noten, und sie bewerfen ihn dafür mit Papierknäueln – die Geknechteten können einander nicht ausstehen.

Das Hörspiel „Cascando“ variiert dasselbe Thema. Mit den magischen Worten „ich öffne“ und „ich schließe“ läßt ein Mann abwechselnd einen atemlosen Erzähler reden und Musiker spielen. Das Werk, das dabei entsteht, wird natürlich auch hier nicht abgeschlossen. Immer hastiger versucht der eine, seine Geschichte zu Ende zu erzählen. Auf der Bühne verdoppelt, dann verdreifacht sich die Figur, so wie sich auch die Qual seiner Sisyphosarbeit vermehrt. Die Bewegung wird auch plastisch umgesetzt: Die mildblauen Wände haben verborgene Türen, hinter denen die Schauspieler in Sekundenschnelle verschwinden.

„Worte und Musik“ und „Cascando“ bilden einen Rahmen für die anderen Szenen. Auch sie sind voll sinnlicher Spielfreude inszeniert, so daß Becketts statische Situationsbilder plötzlich so etwas wie eine spannende Handlung bekommen. In „Bruchstücke2“ überlegen zwei Buchhaltertypen, ob ein Mann seinem Leben durch einen Sprung aus dem Fenster ein Ende setzen soll. Der eine – Karikatur eines Beamten, der sich mit dem Bleistift im Ohr pult und die Akten auf Kante ordnet – ist für den Selbstmord, der andere eher dagegen.

In dem Einakter „Spiel“ erinnern sich ein Mann und zwei Frauen an ihre verheerende Dreiecksbeziehung. Nach Becketts Regieanweisung müßten sie in Urnen stecken. Ilona Zarypow läßt sie statt dessen als Gehenkte auftreten. Allein daß man die ganzen Körper sieht und nicht nur die Köpfe, macht ihre Erinnerungen dramatischer und die Toten selbst lebendiger. Die Inszenierung verzichtet auch auf die von Beckett vorgeschriebene Wiederholung, die die erzählte Geschichte blasser und unwirklicher machen würde. Die angedeuteten dramatischen Konflikte, die fast psychologisch entwickelten Charaktere lassen das absurde Theater in ganz neuem Licht erscheinen.

Beckett ist längst ein Klassiker, die jüngste Szene in „Belacqua“ 30 Jahre alt. Daß auch diese scheinbar zeitlosen Werke älter werden – was sich nicht zuletzt in der diskreten Ausdrucksweise zeigt, wenn es um Sex geht –, wird durch die Garderobe der Darsteller unterstrichen: Die Damen (Thordis König, Christiane Quast) tragen feingefältelte Abendkleider, die Herren (Thomas Chemnitz, Detlef Diercks, Ulrich Keller) Anzüge und Hüte. Die Inszenierung ist Becketts Zeit völlig gemäß – gerade das hätte den Autor wahrscheinlich am meisten schockiert.

Bis 15.12., Mi.–So., 20 Uhr, Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45

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