piwik no script img

Geliebte Lügen

■ Bilder einer widersprüchlichen Wirklichkeit: Das Kino Arsenal zeigt Spielfilme und Dokumentationen aus Kuba

„Ein Paradies ist es nicht gerade“, sagt der kubanische Regisseur Daniel Diaz Torres über seine Heimatinsel, „aber Paradiese sind ja auch langweilig.“ Mit Kritik an den Verhältnissen in Castros Karibik-Kommunismus hält er sich merklich zurück, genau wie sein Kollege Fernando Pérez Valdes. Beide waren Ende Oktober nach Köln gekommen, um eine Reihe mit kubanischen Filmen vorzustellen, die ab heute auch im Arsenal zu sehen ist.

Die Frage, ob sie sich vorstellen können, nach einer gesellschaftlichen und politischen Wende weiterzuarbeiten wie bisher, verneinten beide Regisseure kategorisch. Eine viel größere Gefahr aber als in der Konterrevolution sehen sie für das kubanische Kino in der Notwendigkeit, künftig mit ausländischen Koproduzenten zusammenzuarbeiten: Das staatliche, für das gesamte lateinamerikanische Kino hochbedeutende Filminstitut ICAIC nämlich ist nicht mehr gewillt (und vor allem nicht in der Lage), die Produktionskosten von Filmen allein zu tragen. So kämen irgendwelche Spanier mit ihrem Geld ins Spiel, meint Torres, die im Gegenzug verlangen, daß ein Spanier die Hauptrolle spielt und sich zum Beispiel in eine schöne Südamerikanerin verliebt. Mit der Unabhängigkeit von Kubas Kino sei es dann vorbei. Nur: Irgendwas muß sich ändern, das wissen auch Daniel Diaz Torres und Fernando Pérez Valdes. In diesem Jahr ist im unabhängigen Kuba nicht ein einziger Film gedreht worden.

Daß man nicht offen am System herummäkelt, sondern höchstens an Details und dies auch nur auf möglichst metaphorische Weise, ist eine kubanische Eigenart, die sich seit je auch in den Filmen niederschlägt. Vor Ärger ist man deswegen nicht gefeit, das hat Torres einmal sehr drastisch zu spüren bekommen. Sein Film „Alicia en el pueblo de maravillas“ (Alice im Dorf der Wunder) von 1991 bedient sich ausschließlich der Mittel der Allegorie sowie einiger Motive aus Lewis Carrolls Romanvorlage. Aber die Anspielungen waren deutlich genug: „Alicia“ wurde nicht nur sofort verboten, sondern die Regierung erwog in ihrem Groll sogar, dem ICAIC sämtliche Mittel zu entziehen. Nur geballter Künstlerprotest aus dem In- und Ausland konnte das noch einmal abwenden.

Ein neuer Aufbruch trotz der Krise

Den Wirbel von damals sieht Torres inzwischen gelassen: Der Film sei „ein Opfer der Konjunktur“ gewesen. Jedenfalls ist er erst in diesem Jahr ins Ausland verkauft worden, und dies auch nur mit der Auflage, daß der Regisseur bei jeder Vorführung anwesend ist. Torres und Valdes, zwei sympathisch- redselige Männer in den Vierzigern, werden die Chance nutzen und sich nach den Filmen den Fragen des Publikums stellen.

Einen gewissen Aufbruch hat es im kubanischen Kino gegeben, trotz der Krise der letzten Jahre. Die behutsame Hinwendung zu einem realistischen Stil ist etwa in „Adorables Mentiras – Geliebte Lügen“ von Gerardo Chijona zu beobachten, auch „Guantanamera“ und „Erdbeer und Schokolade“, das weltweit gefeierte Alterswerk von Tomás Gutiérrez Alea, des im Frühjahr gestorbenen Übervaters aller kubanischen Regisseure, rüttelten recht heftig an den kubanischen Tabus Homosexualität, Schwarzmarkt und Ineffizienz.

Fernando Pérez Valdes sieht sogar eine neue Ära anbrechen, in der die neunziger auf die sechziger Jahre treffen: Damals etablierte sich das kubanische Kino durch einige stilistische und thematische Neuerungen, vor allem in Aleas Filmen wie „Der Tod eines Bürokraten“ (1966). In den siebziger und frühen achtziger Jahren besann man sich eher auf die neorealistischen Wurzeln und auf panamerikanische Themen – nach wie vor ist das Filmfestival in Havanna der wichtigste Umschlagplatz für das Kino Lateinamerikas.

Einen umfassenden Einblick in die widersprüchliche Wirklichkeit auf Kuba könnten, so Torres, besonders die Kurzfilme im Programm bieten: die Wochenschauen und die Dokumentarfilme von Studenten an Havannas Filmhochschule „Schule der drei Welten“. Mit ihr pflegt die Kölner Kunsthochschule für Medien derzeit einen ersten Studentenaustausch. Nach Konzerten, zahllosen Fotoausstellungen und ausuferndem Zigarrenschmuggel bewegt sich die Wiederentdeckung Kubas hierzulande nun also auch auf akademischem Niveau. Oliver Rahayel

Bis 10.11., Arsenal, Welserstr. 24

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen