Des Volkes Begehren
: Minderheitenförderung ade, aber freier Hanf für Patienten

■ Ganz nebenbei haben die US-WählerInnen über Richter, Amtsleiter und die Rekordzahl von 91 Volksbegehren entschieden

Wählen ist eine hochkomplizierte Angelegenheit in den USA. Ginge es nur darum, einen Präsidenten sowie ein paar Senatoren und Abgeordnete des Repräsentantenhauses zu bestimmen, wäre die Aufgabe noch mit ein paar Strichen zu erledigen. Doch ein Wahlzettel umfaßt oft mehrere kleingedruckte Seiten. Außer dem Weißen Haus und dem Kapitol mußten zum Beispiel die Bürger von North Carolina dieses Mal das Amt des Gouverneurs, des Vizegouverneurs, der Staatsminister für Finanzen, Arbeit und Landwirtschaft und des Generalstaatsanwalts besetzen. Damit ist die Liste noch keineswegs zu Ende. Auch drei Richter, fünf Kommunalräte und sechs Abgeordnete für das Parlament von North Carolina wollen bestimmt werden. Halt, noch nicht den Stift aus der Hand legen. Schließlich müssen noch fünf Volksabstimmungen auf Staatsebene, fünf auf kommunaler und zwei auf lokaler Ebene entschieden werden.

Dieses Mal standen landesweit 91 Volksbegehren zur Abstimmung — ein neuer Rekord. Besonders eifrig im Entwerfen solcher Vorlagen (propositions) sind die Bürger des Staates Kalifornien. Die hitzigsten Debatten lösten dieses Mal „proposition 209“ und „proposition 215“ aus. Erstere — mit viel Sinn für Euphemismus auch die „California Civil Rights Initiative“ (Kalifornische Bürgerrechtsinitiative) genannt — fordert die Abschaffung aller staatlichen Förderprogramme (affirmative action) für Frauen und Angehörige von Minderheiten. Sie wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Im Vorfeld der Wahl war es vor allem an den Universitäten immer wieder zu Protestaktionen gegen „proposition 209“ sowie den republikanischen Gouverneur Pete Wilson gekommen, der wie Bob Dole zu ihren Befürwortern gehört. Allerdings wird die „Bürgerrechtsinitiative“ mit größter Wahrscheinlichkeit auf absehbare Zeit durch Klagen und gerichtliche Verfügungen auf Eis gelegt.

„Proposition 215“, das den Besitz und Konsum von Marihuana für Kranke zur „Linderung ihres Leidens“ legalisiert, fand ebenfalls eine Mehrheit — und einen überraschenden prominenten Fürsprecher: Ex-Außenminister George Shultz. Eine Niederlage mußten die „Christian Coalition“ und andere Vertreter der christlichen Rechten in Colorado einstecken. Sie hatten einen Verfassungszusatz zur Abstimmung gestellt, wonach „Eltern das unveräußerliche Recht haben, die Erziehung ihrer Kinder zu leiten und zu kontrollieren“. Hintergrund ist das Bestreben, sämtliche staatlichen Richtlinien für solche Familien abzuschaffen, die ihre Kinder aus der Schulen nehmen, um sie zu Hause nach „christlichen Grundsätzen“ zu unterrichten.

Die Wähler in Ohio lehnten vermutlich nicht nur aus christlichen Motiven die Legalisierung von Spielcasinos auf Flußschiffen ab, während in Arizona der Wunsch nach mehr Casinos auf Indianer-Reservaten eine Mehrheit fand. Floridas Bürger erlauben künftig die Einführung neuer Steuern und Gebühren nur mit einer Zweidrittelmehrheit der Wählerschaft. Bei Redaktionsschluß stand noch nicht fest, ob sich die Wähler in Idaho dafür entschieden haben, den Einsatz von Hunden bei der Bärenjagd zu verbieten. Da hätten die Hunde womöglich gern ein Wörtchen mitgeredet. Andrea Böhm