Ahnungslose Polizisten waren sich ganz sicher

■ Nachspiel zum Sandbecker Trauermarsch: Zwei „Rädelsführer“ vor Gericht

Sie hätten gar nicht genau gewußt, worum es überhaupt geht, sagt einer der Bereitschaftspolizisten: ein Aufmarsch, eine Blockade, Ausschreitungen und eben eine Anweisung, die beiden „Rädelsführer des Trauermarsches“ festzunehmen. Ganz sicher sind sie sich jedoch, daß Sükrü D. und Gürsel Y. mit Gewalt Widerstand gegen ihre Amtshandlung geleistet haben. Deshalb stehen die beiden seit gestern vor Gericht. Als Zeugen sagen Polizisten aus, gegen die die Angeklagten ihrerseits und zeitgleich Anzeige erstattet hatten wegen Körperverletzung im Amt.

Im Mai dieses Jahres waren zwei Jugendliche am Bahnübergang in Sandbek von einem Zug zerrissen worden. Freunde gaben der Polizei die Schuld an ihrem Tod. In den folgenden Tagen kam es zu Auseinandersetzungen, die Polizei und Politik als Randale aburteilten; die Polizei werde weiteren Ausschreitungen mit aller Konsequenz entgegentreten, hatte Innensenator Wrocklage erklärt. Eine Woche später – Familien und enge Freunde hatten die Toten zur Beisetzung nach Tunesien und in die Türkei begleitet – formierte sich in Sandbek ein Trauermarsch. Weil dabei eine Straße blockiert wurde, sei die Polizei zum Einsatz gekommen, „um die Versammlung aufzulösen oder was auch immer“, sagt ein Zeuge. Ob sie wußten, wem sie dort gegenübertreten? „Möglicherweise ja.“

Nicht jedoch wollen sie informiert gewesen sein, warum sie die beiden festnehmen sollten. Und auch den Festgenommenen wurde diese Information vorenthalten. Es könne schon sein, daß Gürsel Y. empört nach eben diesen Gründen gefragt habe. Aber er sei auch sonst renitent gewesen und habe – als er schon an den Händen gefesselt war – einen Polizisten mehrmals getreten. Auf welche Weise, wisse er nicht, sagt der Beamte. Es sei so ein Chaos gewesen. Ob er denn sicher sei, daß es gezielte Tritte waren? „Ich gehe davon aus, daß er mich treten wollte, ja!“, antwortet der Polizist. Gesehen hat er es nicht.

Nicht nur gesehen, sondern ausgiebig studiert hatten die als Zeugen geladenen Beamten sämtliche Berichte über den Vorfall, um sich auf den Prozeß vorzubereiten. Das sei ganz normal, sagen sie. Weniger normal findet Y.s Rechtsanwalt, daß die verschiedenen Berichte „frappierende Übereinstimmungen“ aufweisen; daß darin von Tritten und Schlägen durch die Angeklagten die Rede ist, welche der Berichterstatter selbst gar nicht beobachtet hat. Bevor die Berichte abgefaßt wurden, räumen die Beamten ein, habe man sich erst einmal zusammengesetzt. Das sei doch ganz normal.

Zumindest üblich sei es, so Y.s Anwalt, daß Zeugen von Mißhandlungen durch die Polizei – ruckzuck – selbst vor Gericht stehen. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beamten werde derweil verschleppt. Diese haben nach eigenen Angaben erst vor drei Wochen vom Verfahren gegen sie selbst erfahren; befragt wurden sie noch nicht.

Der Prozeß wird am Dienstag fortgesetzt. Stefanie Winter