"Auch ein Indie kann Hits haben"

■ Playmates zu Platin: Mit der Boygroup Backstreet Boys im Katalog wandelt das Rough-Trade-Label aus Herne sich zum ersten weltweiten Mega-Indie. Wieviel Hitparade verträgt eine "alternative" Firma? Sieben F

taz: Seit letzter Woche steht Rough Trade mit den Backstreet Boys auf Platz 1 der Media-Control-Single-Charts. Kommen demnächst auch die Schlümpfe bei euch raus?

Kurt Thielen: Auch mit den neuen Möglichkeiten können wir nur Acts aufbauen, die zu uns passen. Das Teure heutzutage ist das Marketing, sprich: die Dekos, die Anzeigen, die Videos und Platten überhaupt in die Läden zu bekommen. Das können wir jetzt etwas selbstbewußter angehen. Die Backstreet Boys funktionieren in diesem Spiel in erster Linie als Beweis gegenüber dem Handel: Auch ein Indie kann Hits haben und mit den großen Firmen konkurrieren.

Gibt es wirklich noch eine Independent-Philosophie?

Okay, ein hochtrabender Begriff. Doch von der Geschichte her war es 1977 bis 1979 eine radikale musikalisch-ästhetische Idee, die für einen ökonomischen Aufbruch sorgte. Aus heutiger Sicht mögen all diese Anarchy- und Chaos-Slogans abgedroschen klingen, aber das ist definitiv die Basis! Das Geschäft kam sozusagen nebenbei.

Hat Punk also doch das Business revolutioniert?

Die Betriebsstrukturen, die von den Unterhaltungsgroßkonzernen unabhängig sind, haben sich weltweit bewährt. Allerdings ist der ominöse Begriff „independent“ schon lange ausgehöhlt beziehungsweise mit der einseitigen Ausrichtung auf Gitarrenrock ad absurdum geführt. Viele dieser Bands sind ja schon lange bei den großen Konzernen.

Nachdem sie erst „unabhängig“ aufgepäppelt wurden.

Genau. Traditionell waren wir immer zu früh dran. Die kommerzielle Boomphase haben wir dann nicht mehr mitbekommen. Wir hatten nie das Geld, um mitzubieten. Soul Asylum beispielsweise waren 1985 bei uns. Vier, fünf Jahre später wurden mit dem Grunge- und US-Neo-Rock-Zeug Millionen gescheffelt. Dafür sind wir hier strukturell in der Lage, Programme zu vertreten, die vom ganzen Katalog – sagen wir mal – je 2.500 verkaufen.

Rough Trade war einmal als eine Art volkseigener Betrieb geplant, bei dem Mitarbeiter nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit zum Miteigner werden. Ist davon noch was übrig?

Nö. Mit der Pleite von Rough Trade UK war das passé. Es gab bei uns anfangs ja auch gleiche Bezahlung für alle, ähnlich wie bei der taz. Doch das hat überhaupt nicht funktioniert. Man verliert zu viele gute Leute. Die Musikbranche ist einfach viel schnelllebiger, als ich mir das z.B. im Verlagswesen vorstelle. Ob das Arbeiten für die 80 Leute hier fremd- oder selbstbestimmt ist, interessiert eigentlich nicht mehr. Da geht's mehr um das Betriebsklima oder die Identifikation mit der einen oder anderen Musik.

Was hat sich noch verändert seit der Gründergeneration?

Jüngere Mitarbeiter denken pragmatischer. Der Wert, bei einem Indie zu arbeiten, ist weitgehend entmythologisiert. Doch gerade im Dancebereich gibt es unheimlich viele Leute, die auch heute unbedingt unabhängig sein wollen. Deren Ideologie ist halt kreativer Art. Die betreiben mit vier anderen Leuten vier verschiedene Projekte und haben keinerlei Interesse, mit allen bei der gleichen Firma zu sein. Aus Sicht des Labels ist das nicht immer einfach und angenehm, hat aber trotzdem eine tolle, neue Qualität.

Wird die Verbindung von Pop- Acts mit Konsumprodukten demnächst in den Indie-Bereich vordringen – Stichwort Rolling- Stones-Golf?

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was dagegen sprechen sollte. Wenn das mit dem Künstler genau abgestimmt ist, habe ich kein Problem damit. Interview: Ralf Niemczyk