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Vom Lagerfeuer zum Rockpalast

■ Die Bremer „Pedestrians“ lustwandeln zwischen zart und hart und verwirren Plattenfirmen ebenso wie Sprachunkundige

„,Pedestrians' ist ein schönes Wort, nur leider wissen die meisten nicht, daß das Fußgänger heißt,“ seufzt Tim Nullmeyer. Er ist Gitarrist und Sänger der Bremer Band, die sich eben dieses schöne Wort zum Titel gewählt hat. Mit den Konsequenzen hatte man nicht gerechnet: „Die Leute denken manchmal, das hätte was mit Päderasten zu tun. Das finden wir weniger witzig. Besonders, wenn du in Gorleben auftrittst und das gesamte Gewaltpotential der deutschen Linken vor dir steht!“ Diese Verwirrung war nicht beabsichtigt: „The Pedestrians“ heißen wie sie heißen, weil sie in ihren Gründungstagen eine komplett unmotorisierte Band waren und so zu manchem Auftritt per pedes gelangen mußten.

Diese Gründungstage liegen jetzt vier Jahre zurück. Ende '92 waren Nullmeyer und Sängerin Iris Cyrol zu Gast bei einer Geburtstagsfeier , wo der spätere Pedestrian-Bassist Jens Schuchert und Tim Torte essend beschlossen, gemeinsam zu musizieren. Zusammen mit einem Schlagzeuger machte man Folk-Rock mit Lagerfeuer-Appeal. Iris streubte sich zunächst, sang aber immer öfter bei Sessions mit und sprach schließlich die magischen Worte: „Wollen wir nicht fusionieren?“

Mit Hilfe eines unorthodoxen aber erfolgreichen Spendenaufrufs haben die „Pedestrians“ inzwischen ihre erste CD „Coloured & Alive“ aufgenommen, eine bei aller Stilvielfalt homogene Mischung aus akustischen Balladen, poppigen Ohrwürmern und einigen ruppigen Ausflügen in Grunge-Gefilde.

Das Lagerfeuer flackert manchmal noch im Herzen, aber eigentlich sind die zwölf Songs Musik für Scheinwerfer und Bühnen. Abgesehen von vier reinen Akustik-Stücken soll das nächste Album, das im Januar folgt, noch eine Spur lauter werden. Tim Nullmeyer erläutert die ungewöhnliche musikalische Entwicklung der Band: „Die meisten Bands fangen hart an und werden mit der Zeit immer softer. Wir haben rein akustisch angefangen und erst E-Gitarren und hartes Schlagzeug dazugenommen, als wir so weit waren.

Das zweite Album wird viel klarer werden: Das Härtere wird noch härter, das Akustische noch akustischer.“ Kommerziell sei die Stilvielfalt ein Problem. Bassist und Gelegenheitsgitarrist Schuchert: „Die Plattenfirmen wollen, daß wir nur einen Stil spielen. Die Major-Labels stören sich schon daran, daß bei uns zwei Leute singen. Die wollen so ein 'Rainbirds'-Ding.“

So werden die 'Pedestrians' auch weiterhin ihr eigenes Label bleiben müssen, denn die Entscheidung für einen einzigen Stil scheint bei ihrer Arbeitsweise gottlob nicht gewährleistet. „Wir finden uns alle gegenseitig ziemlich geil!“ schwärmt die Band, weshalb die Ideen einzelner durch die Bearbeitung anderer stets verändert werden.

Die Texte werden zumeist von Nullmeyer oder Cyrol geschrieben, wobei beide sich ihrer Aufgabe anders nähern: „Tim ist ein Reimer, ich schreibe mehr Tagebuch,“ sagt Iris, die von beiden die intimeren Texte schreibt. Tim drückt es so aus: „Ich singe erstmal Unsinn, und schreibe das auf.“ Daß Tims Unsinn und Iris' Tagebuch in englisch verfaßt werden, kommt den deutschen 'Pedestrians' nicht spanisch vor: „Englisch ist viel geschmeidiger. Es gibt viele Bands, die deutsch singen und sich unheimlich peinlich anhören. Die können mit der Sprache nicht umgehen.“

In Bremen hat das Quartett nach eigenen Angaben schon jede Bühne bespielt, weshalb man der Heimat derzeit ein wenig müde ist. Trotzdem tritt man am Samstag ein letztes Mal vor der Pause für die CD-Aufnahmen im „Chagall“ auf. Dort wird bereits Material des kommenden Albums vorgestellt werden. Und wer den neuen Schlagzeuger Ralf Bogatu noch nicht kennt, hat dort ebenfalls Gelegenheit, den Neuzugang in Augen- und Ohrenschein zu nehmen.

Andreas Neuenkirchen

heute um 21 Uhr im Chagall

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