Marokko und die Frente Polisario verhandeln

■ 66 Gefangene kommen auf Vermittlung von Deutschland und den USA frei. Eine Autonomielösung könnte eine reelle Alternative zur Unabhängigkeit werden

Madrid (taz) – „UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali hat den Kontakt zwischen Marokko und uns eingefädelt.“ Gegenüber der taz bestätigte der Informationsminister der sahrouischen Exilregierung, Jatri Adduh, bestätigte genau das, was Marokkos Innenminister Driss Basri bislang leugnete, aber diese Woche von Marokkos König Hassan II. bekanntgegeben wurde: Seit August unterhält die Frente Polisario, die für die Unabhängigkeit der von Marokko besetzten Westsahara kämpft, direkte Kontakte zu einer marokkanischen Delegation.

Ein erstes positives Zeichen: Marokko ließ Ende Oktober 66 sahrouische Gefangene frei, Deutschland und die USA vermittelten. Mindestens viermal saßen sich Bachir Mustafa Sayed, Nummer 2 der Polisario, und Driss Basri in Genf und im marokkanischen Tanger und Rabat gegenüber. Damit kommt Bewegung in den Konflikt um die Westsahara. Die UN hatte im Juni die Vorbereitungen für ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara ausgesetzt. Denn nach fünf Jahren Waffenstillstand hatte noch nicht die Frage des Wahlrechts geklärt werden können. Marokko habe, so die Vorwürfe der Polisario, mittels Bevölkerungsumsiedlungen in das besetzte Gebiet das Referendums zu manipulieren versucht.

Der Konflikt begann 1976, als Spanien seine Kolonie, direkt gegenüber den Kanarischen Inseln gelegen, verließ. Die nun unabhängigen Sahrouis riefen die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) aus. Noch in der gleichen Nacht besetzten Truppen von König Hassan II. das Land und holten so „einen unteilbaren Bestandteil Marokkos“ mit Gewalt „heim ins Alawitenreich“. Ein Massenexodus begann. Zwei Drittel der sahrouischen Bevölkerung leben seither in vier Lagern nahe dem westalgerischen Tindouf.

Heute durchziehen 2.500 Kilometer Mauer aus Sand und Felsbrocken die Westsahara. Bestückt sind sie mit Radar und Sensoren. Bewacht werden sie von 200.000 Soldaten. Die Verteidigung seiner Kriegsbeute kostet König HassanII. täglich eine Million Dollar. Sie macht 80 Prozent der Westsahara aus – ein Gebiet, halb so groß wie das einstige Mutterland Spanien. Die Plünderung der Phosphatminen im Norden des Landes und der Fischbänke im Atlantik sollen die Kosten wettmachen. Das Landesinnere, ein langer Streifen an der Grenze zu Algerien und Mauretanien, wird weiter von der 30.000 Mann starken Guerrilla der Polisario gehalten.

Die Kontakte kamen in letzter Minute zustande. Ohne Annäherung zwischen den Konfliktparteien könnte der UN-Sicherheitsrat am 30. November die Kräfte zur Überwachung des Waffenstillstands bis auf ein politisches Büro abziehen – damit droht ein Wiederaufflammen der Kämpfe. UN- Generalsekretät Butros Butros Ghali hatte deshalb einen Appell an die Nachbarn gerichtet, sich stärker zu engagieren. Algeriens Präsident Liamine Zeroual reagierte prompt. Laut der französische Wochenzeitschrift Jeune Afrique übt Zeroual seither Druck auf die Polisario aus, um diese von ihrer Maximalforderung nach Unabhängigkeit abzubringen. Ein Kompromiß könnte auf eine regionale Autonomie der Sahrouis innerhalb Marokkos hinauslaufen. König Hassan II. scheint dies vorzubereiten. Die Gespräche fallen zeitlich mit einer Verfassungsreform zusammen, die neben einer zweiten Parlamentskammer eine stärker regional orientierte Gliederung des Landes vorsieht. Zeroual hofft nun für seine Vermittlung auf schärfere Grenzkontrollen der Marokkaner, um den islamischen Terrorkommandos in Algerien das Leben zu erschweren. Ein Teil ihrer Waffen wird, laut algerischer Polizei, über Marokko ins Land geschmuggelt. Angesprochen auf ein solches Szenerario antwortet der Informationsminister der DARS, Jatri Adduh, knapp: „Über die Inhalte können wir leider noch nicht reden. Das Wichtigste ist, daß die Gespräche überhaupt stattgefunden haben.“ Die Haltung ist nachvollziehbar – sollte sich die Polisario auf einen solchen Kuhhandel einlassen, steht sie vor der wohl schwierigsten Aufgabe ihrer Existenz. Sie muß dann der Bevölkerung, die jahrelang Krieg und Flüchtlingslager erduldet hat, eine Niederlage als Sieg verkaufen. Reiner Wandler