Blindwütig, peinlich, jammerig

■ lnge Vietts „Einsprüche“ und Till Meyers „Staatsfeind“

Inge Viett, Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ und der RAF, 1982 in die DDR übergesiedelt, wurde 1990 in Magdeburg festgenommen. Aus dem Gefängnis hat sie Briefe – Einsprüche! – geschrieben, an Freundinnen, aber auch an Gregor Gysi oder Christa Wolf.

Diese Briefe, so Viett kürzlich in einem Interview, sollten eigentlich das Knast-Kapitel ihrer im Februar erscheinenden Autobiographie ersetzen. Ohne diesen Zusammenhang deuten die meisten Anspielungen, seien sie RAF-historisch oder tagesaktuell, ins Leere. Auf diese Weise schrumpfen die Briefe teils zu Traktaten zum Kampf gegen den Imperialismus, teils zur blindwütigen Apologie der DDR und oft zu privaten Befindlichkeiten.

Stolpern macht die Vehemenz, mit der Viett für die PDS wirbt, oder ihr Spott über den RAF-Anhang: Unselbständig sei der, peinlich und jammerig. Wer sich trotzdem erneut auf die Suche nach vorformulierten Gründen für den Kampf gegen den Kapitalismus begeben oder sich auch nur Inspiration für ein ausgefülltes Stadtguerilla-Dasein abholen möchte, sollte lieber auf Vietts Memoiren warten – oder die von Till Meyer lesen.

„Ich bereue nichts“, verkündet er, ähnlich wie Viett, in seinen gerade erschienenen Erinnerungen Staatsfeind. Meyer war ebenso wie Viett an der Lorenz-Entführung 1975 beteiligt. Nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis 1978 stand jubilierend auf Berliner Mauern: „Keine Feier ohne Meyer!“ Lange währte die Party dann allerdings nicht: In Bulgarien festgenommen, wurde Meyer 1980 verurteilt.

Nicht, daß die revolutionären Glaubensgrundlagen bei Meyer überzeugender wirkten als bei Viett. Auch von einer Stilkritik ist gnädig abzusehen; mit dem berlinischen 50er-Jahre-Vokabular (“war ich ein wilder Steppke“) sollte man sich besser frühzeitig anfreunden.

Die Schilderungen jedoch etwa der Lorenz-Entführung oder der Knast-Ausbrüche sind lebhaft genug, daß sich mancher auf der Stelle der eigenen, unspektakulären, legalen Existenz schämen mag. Meyers Laufbahn vom notorischen Schulschwänzer zum Straßenkämpfer und „Terroristen“ erscheint vollkommen logisch, ohne daß eine Kausalität erzwungen würde.

Und doch demontiert sich Meyer am Ende selbst; sein Eigenlob zur Arbeit bei der taz in Berlin fällt zunehmend dicker aus: „Ich war (...) listig, so subversiv und immer wißbegierig.“

Wo sich vorher Begründungen erübrigten, fehlen sie plötzlich. Ab 1986 in Freiheit, arbeitet er selbstredend für die Stasi und portraitiert für sie die Berliner autonome und linke Szene. Und so sind Staatsfeind Meyers feurig ausgerufener Anarchiewille, sein wütender Ritt gegen staatliche Repressalien und imperialistische Allmachtsvisonen plötzlich nur noch eine Frage der Flagge und des Gauls.

Ulrike Winkelmann Inge Viett: Einsprüche!, Nautilus, 160 Seiten Till Meyer, Staatsfeind, Spiegel-Buchverlag, 470 Seiten