Des Königs stolzer Ehrenbürger

Kurt Goldstein ist ein Veteran des Spanischen Bürgerkriegs. Als Jude und Kommunist schloß er sich den Internationalen Brigaden an. Jetzt wird aus dem alten Kämpfer ein spanischer Ehrenbürger  ■ Von Bascha Mika

Er ist ein alter Mann. Und er träumt immer noch: „Die Welt muß in Richtung Sozialismus bewegt werden.“ Er glaubt: „Mit Gewalt gibt es keinen Weg zum Sozialismus.“ Und sagt: „Ich weiß keine bessere Staatsform als die Demokratie, um für meine sozialistischen Endziele zu kämpfen.“

Gekämpft hat er in seinem Leben recht heftig, dieser 82jährige. Ihm blieb auch nichts anderes übrig. Teils trieb es ihn, teils trieb man ihn, teils trieb er andere. Immer mit dreifachem Gepäck auf dem Rücken. Er ist Jude, Kommunist und Deutscher. Mehr Fallgruben hat dieses Jahrhundert kaum zu bieten.

Als Jude und Kommunist ging Kurt Julius Goldstein 1936 nach Spanien, um gegen die Faschisten zu kämpfen. Wie rund 50.000 andere Ausländer schloß er sich den Internationalen Brigaden an. Und weil er heute irgendwie noch immer Brigadist ist, ging er vor ein paar Tagen wieder nach Spanien, um sich den Lohn für damals zu holen.

Es ist ein Schabernack der Weltgeschichte

Im November 1938, als die Interbrigadisten in Barcelona nach Hause verabschiedet wurden, versprach ihnen der Ministerpräsident der spanischen Republik die Ehrenbürgerschaft. Sechzig Jahre später, mit königlichem Dekret Nr. 39 vom 19. Januar 1996, wurde ihnen das Versprechen erfüllt. Allzu viele Kombattanten sind nicht mehr am Leben. Aber die wenigen, die übrig blieben, werden seit einer Woche in ganz Spanien gefeiert – in Madrid und Barcelona, in Gandesa und Guadalajara, am Ebro und am Jarama.

„Es ist ein Schabernack der Weltgeschichte“, spottet Kurt Goldstein kurz vor seiner Abreise aus Berlin, „da haben wir für die Republik gekämpft und jetzt...“ Er kramt in einem Papierstapel, zieht einen Brief des spanischen Botschafters hervor und schwenkt ihn wie eine Trophäe, „...und jetzt empfangen wir die Ehrenbürgerschaft vom König.“

Aber dieser Monarch sei ja ein „echter Demokrat“, fügt er hinzu. Das habe er bewiesen, als er sich Anfang der achtziger Jahre den Militärs widersetzte, die gegen die gewählte Regierung putschten. „Da sage ich, der Kommunist: Hut ab vor diesem König.“ Er sagt es mit einer gewissen Grandezza, so wie man über einen ebenbürtigen Gegner spricht. Und kaum eine Spur Bitterkeit ist ihm darüber anzumerken, daß Monarchen zur Zeit eine bessere Presse haben als die Partei der Arbeiterklasse.

Überhaupt zeigt dieser schmächtige Mann in seinem kleinen Arbeitszimmer Größe, angesichts historischer Niederlagen – auch wenn er dabei von sich selbst in der dritten Person spricht. „In schweren inneren Kämpfen“, bekennt er langsam, „nachdem er fast 60 Jahre daran geglaubt hat, daß das alles so richtig wäre, muß sich der Goldstein davon überzeugen, daß unser Weg zum Sozialismus gescheitert ist.“ Kaum hat er ausgesprochen, knallt er seine Hand flach auf den vor ihm stehenden Tisch. „Tel Aviv – so ist das Leben!“ Da klingelt das Telefon.

Spanien am Apparat, die Organisatoren für den Festakt. Als Kurt Goldstein aufgelegt hat, ist er weniger spöttisch als wehmütig. Zwei Erfahrungen hätten sein Leben geprägt, grübelt er laut, „die positive war der Spanische Bürgerkrieg“. Die andere war Auschwitz.

Und dann erzählt er. Vom Kaufhaus seiner Mutter im westfälischen Hamm; wie er, das Bürgersöhnchen, Kontakt zum Arbeitermilieu bekam und als 14jähriger in die Jugendorganisation der KPD eintrat. Er erzählt, wie er 1933 als Neunzehnjähriger nach Palästina emigrierte; wie er als begeisterter Pazifist gesungen hatte: „Nie, nie wollen wir Waffen tragen, nie, nie zieh'n wir in den Krieg“ – und dann 1936 trotzdem in Spanien kämpfen wollte.

Eine Entscheidung, zu der er sich heute noch gratuliert. „Wir waren dem spanischen Volk direkt dankbar, daß wir gegen den Hitler- Faschismus kämpfen durften.“ Er verließ Palästina und erreichte im November 1936 die Basis der Interbrigaden in Albacete. „Das Besondere dieser Brigaden war“, begeistert er sich noch immer, „daß es so etwas wie Antisemitismus und Rassismus nicht gab. Nirgendwo sonst habe ich erlebt, daß die Beziehung zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben, verschiedener religiöser, politischer und ideologischer Überzeugungen so innig war.“

Goldstein wurde einem Transportregiment zugeteilt, dann zum Richtkanonier ausgebildet und arbeitete, nach einer Verletzung, als Politkommissar in einem Krankenhaus. Nie war er etwas anderes als ein strammer Kommunist. Was wußte er denn von der stalinistischen Hatz gegen andere Linke unter den Verteidigern der Republik? Davon, daß in Spanien Sozialdemokraten und Sozialisten, Anarchosyndikalisten, Trotzkisten und mit ihnen die Anhänger der Poum, der Partido Obrero de Unificaion Marxista, von Geheimpolizisten gefoltert und ermordet wurden?

Kurt Goldstein erklärt einem gern, wie die Welt funktioniert und wie sich sein eigenes Leben in den Gang der Geschichte einfügt. Doch jetzt zögert er, dann nuschelt er und holt als Antwort ein Papier hervor. Als ginge es um ein Tribunal, gibt er vorsichtshalber eine schriftliche Erklärung ab – indem er aus einer Rede zitiert, die er kürzlich gehalten hat: „Daß führende Funktionäre der Poum und der Anarchisten, auch ausländische Anhänger dieser Auffassungen, vom spanischen und sowjetischen Geheimdienst eingekerkert und ermordet wurden, müssen wir, die es damals nicht gewußt haben, heute verurteilen.“

Er stockt, guckt auf und zeigt, wie hart braune Augen blicken können. Dann poltert er los. „Ich will jetzt nicht die Schlachten, die wir in der Arbeiterbewegung seit sechzig, siebzig Jahren schlagen, wieder aufnehmen“, behauptet er – um es dann sofort zu tun. Er ist ein alter Mann, aber jetzt ist er wieder ganz jung. „Wir Kommunisten haben damals in Spanien diese verdammte Volksfrontregierung verteidigt, diese bürgerlich-demokratische Regierung. Und wir haben uns heftig auseinandergesetzt mit diesen ultralinken Abenteurern, die dort die proletarische“, – seine Hand knallt wieder flach auf den Tisch – „die anarchistische“, – der nächste Schlag auf den Tisch – „oder ich weiß nicht welche Revolution machen wollten!“

Kein Pardon mit den ultralinken Abenteurern

Kurt Julius Goldstein ist stolz auf seine „typisch deutschen Eigenschaften“ wie „Disziplin, Pünktlichkeit und Exaktheit“. Wie er da so sitzt, in seiner Neubausiedlung im Berliner Viertel Marzahn, scheint er einen Waffenstillstand mit einem großen Teil der Geschichte geschlossen zu haben. Aber mitnichten mit den „ultralinken Abenteurern“. Kein Pardon mit denen, die eine andere Revolution wollen, als die von der Partei verordnete. Egal, ob Anarchisten und Poumisten damals oder die RAF und, apropos, die „Vermummten auf den Demos“ heute.

Gewiß, man hätte diese Leute in Spanien nicht gleich umbringen sollen. Sicher sei jedoch, daß nicht die „Differenzen“ im linken Lager die Spanische Republik in die Niederlage getrieben hätten, sondern weil die Großmächte sich mit den Faschisten nicht anlegen wollten.

Und was passiert, wenn Kurt Julius Goldstein bei den Feiern in Spanien einem Anarcho-Veteranen begegnet? „Dann nehm' ich ihn zuerst in den Arm und fang mich dann an zu streiten.“ Worüber? „Na, wer damals recht gehabt hat!“

Anfang 1939 mußte Goldstein mit dem Rest der Internationalen Brigaden Spanien verlassen. Er ging über die französische Grenze und wurde sogleich interniert. Wanderte durch verschiedene französische Lager, bis er 1942 an die Nazis ausgeliefert und nach Auschwitz deportiert wurde. Er überlebte drei Jahre KZ und sagt: „Der Faschismus ist keine Frage des deutschen Nationalcharakters. Mir haben die Schläge, die ich von französischen Garde mobile bekommen habe, genauso weh getan, wie die Kolbenschläge der SS in Auschwitz.“

Nach dem Krieg war er zunächst FDJ-Sekretär im Westen. Doch als die Partei ihn 1951 in die DDR rief, ging er nach drüben. „Ein disziplinierter Kommunist geht, wohin ihn die Partei ruft.“ Er half, das „neue Deutschland“ aufzubauen, war Chefredakteur beim Deutschlandsender und später Intendant bei Stimme der DDR.

Kaum pensioniert, arbeitete er zehn Jahre als Sekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer in Wien und ersparte sich damit so manches, was die Genossen Honecker & Co. zu Hause anrichteten.

Inzwischen ist er nicht mehr in der SED, sondern in der PDS und wettert gegen den „auf breiter Front angelegten Angriff der – ich sag' es jetzt mal in meiner alten Sprache – Großbourgoisie gegen die Interessen der breiten Massen“. Insofern hat der Spanische Bürgerkrieg für Goldstein – „ein Lehrstück der Geschichte“ – eine aktuelle Bedeutung: Die Linke müsse lernen, zusammenzuarbeiten, „Volksfrontpolitik“ zu machen.

Gerne werden seine alten anarchistischen Mitkämpfer dies hören: „Wir Kommunisten haben damals angefangen, die Demokratie als etwas Nützliches zu erkennen.“ Dieser Weg sei der richtige, da ist Goldstein inzwischen sicher. „Nur so werden wir in die bessere Ordnung kommen.“