Per Mausclick zum handfesten Ehekrach

■ Neues Multimedia-Lernzentrum im Institut Francais erobert Neuland

Ein Mausclick, und schon sehen wir Madame und Monsieur Leconte beim Streiten zu. Noch ein Click, und wir landen im Louvre, Abteilung alte niederländische Meister. Der Gedankensprung vom schnöden Ehekrach in feinstem Hochfranzösisch zur weltberühmten Gemäldegalerie wird möglich durch schnelle Prozessoren und die entsprechende Software. Multimedia heißt das Zauberwort und hat in Form eines Selbstlernzentrums jetzt auch Einzug gehalten im Institut Français an der Contrescarpe zu Bremen.

Als Europapremiere stellte Institutschefin Christine Schell das Zentrum mit zehn Bildschirm-Lern- und -Arbeitsplätzen gestern vor und führte zur Begründung an, daß hier erstmals ein staatliches Kulturinstitut und die Hochschulen eines Landes in Sachen Fremdsprachenausbildung auf High-Tech-Niveau zusammenarbeiten. Die Stichworte Internationalisierung und europäischer Binnenmarkt nehmen in der alten Villa am Rand der Wallanlagen schon jetzt konkrete Gestalt an. Denn wie der Leiter des Fremdsprachenzentrums der Bremer Hochschulen, Prof. Gerhard Pasternack, erklärte, soll im neuen Zentrum statt der klassischen Philologie die Sprachausbildung von Studierenden aller Fachbereiche vorangetrieben werden, um etwa die Chemikerin auf ein sich nahtlos anschließendes Auslandsstudium oder den Betriebswirt auf eine Bewerbung auf eine Stelle in Paris vorzubereiten.

Für die Einrichtung des Selbstlernzentrums, dessen Kosten in Höhe von 400.000 Mark sich die Hansestadt und Frankreich teilten, mußten sechs Fuder Gerümpel und Archivalien aus dem Institutskeller weichen. Darunter auch alte Medien wie Projektoren, Filme oder Schallplatten, die teils auf dem Müll, teils in Museen landeten. Denn die neuen, größtenteils an französischen Sprachschulen entwickelten Multimedia-Programme haben mit den alten Sprachlaboren der Schulen nichts mehr zu tun. Und selbst heute gängige Lernprogramme werden um Längen geschlagen.

Der Streit des Ehepaares Leconte etwa läuft als Video auf dem Bildschirm ab. Rund um den Film sind Hörverstehens-Übungen und andere Tests gruppiert, die via Mikro aufgezeichnet und mitgeschnitten werden. Wieder genügt ein Mausclick, und prompt läßt sich die Aussprache anhand einer phonetischen Kurve überprüfen. Hörend und sehend kann man dann üben und weiter üben, bis die Aussprache mit der vorgegebenen Kurve übereinstimmt und das Französisch sozusagen auch graphisch sitzt.

Dieser und allen weiteren Lektionen ist die Gemeinsamkeit eigen, daß selbst AnfängerInnen sofort mit Alltagssituationen konfrontiert werden. Das lineare Lernen der AltsprachlerInnen ist passé, das Verständnis von Zusammenhängen dagegen angesagt.

Doch stellt sich beim Flimmern all der Monitore die Frage, ob das Aneignen einer Sprache künftig zu einer autistischen Angelegenheit wird. Bernard Ginsbourger vom Institut Français verneint. Multimedia sei eine Ergänzung zum Unterricht von Mensch zu Mensch und könne Kommunikation nicht ersetzen. Aber die Arbeit im Selbstlernzentrum biete den entscheidenden Vorteil, nach eigenen Bedürfnissen, Schwächen und Neigungen vorzugehen. Im Frontalunterricht mit 30 SchülerInnen und einer LehrerIn ist das eben nicht möglich.

Und wenn Ex-Senator Ralf Fücks kostenlose Laptops für alle PennälerInnen fordert, ist das nach Ansicht der Sprach-ExpertInnen alles andere als Zukunftsmusik: „Die mit Multimedia verbundene Individualisierung wird auch in den Schulen Einzug halten“, glaubt Gerhard Pasternack. Über dies und jenes läßt sich übrigens fortan trefflich bei Pastis, Brioche oder Café au Lait an der Contrescarpe streiten. Denn ab sofort verfügt das Institut Français über ein Café im Souterrain. Christoph Köster

Selbstlernzentrum und Café werden heute, 12.11., um 18.30 Uhr eröffnet