■ In Ostzaire kann am ehesten eine afrikanische Intervention helfen. Ein Interview mit Rupert Neudeck
: Ein demonstrativer Eingriff reicht

taz: Was halten Sie von der diskutierten humanitären Intervention der internationalen Gemeinschaft zur Rettung von rund einer Million Flüchtlingen in Ostzaire?

Rupert Neudeck: Wir müssen, wenn wir Menschen retten wollen, einen militärischen Schutz dabeihaben. Dieser Schutz kann nur gewährleistet werden, wenn man ihn mit afrikanischen Kontingenten einrichtet. Uganda, Tansania und Äthiopien haben sich bereit erklärt, eine entsprechende Truppe zu stellen. Sie verfügen über relativ disziplinierte Armeen. Das sind ehemalige Guerillakämpfer, die wissen, was in einer sochen Situation zu tun ist. Zwei Hilfkomponenten müßten allerdings vom Westen angeboten werden. Europa müßte die Aktion finanzieren, die Amerikaner müßten in Windeseile tun, was sie 1994 nach dem Völkermord in Ruanda taten. Damals haben sie den Flughafen von Kigali innerhalb von 48 Stunden wiederhergestellt, so daß er zur Drehscheibe humantiärer Hilfe werden konnte. So könnte eine humanitäre Intervention aussehen, und das wäre dann, überspitzt gesagt, keine französische.

Frankreich würde sich nach den jüngsten Äußerungen einem amerikanischen Oberbefehl unterordnen. Könnte das den ruandischen Widerstand gegen eine französische Beteiligung dämpfen?

Ja, das könnte den brachialen Widerstand gegen eine französische Beteiligung brechen. Zwei westliche Staaten genießen in der Region Respekt: die USA und Deutschland. Diese beiden sollten das Rückgrat dieser Operation sein. Damit meine ich nicht, daß deutsche Blauhelme eingesetzt werden sollten. Das gehört seit der vollkommen nutzlosen Intervention in Somalia in die Mottenkiste. Deutschland sollte aber mitzahlen. Die Summe ist ja auch nicht so hoch, etwa 25 bis 40 Millionen US- Dollar. Wenn man bedenkt, daß die Bundeswehr allein für ihren Einsatz in Belet Huen 250 Millionen Mark zahlte, dann braucht man bei diesem Betrag nicht gleich in Ohnmacht fallen. Die Afrikaner brauchen die Luxuslogistik nicht, die unsereiner beansprucht.

Wie realistisch ist diese afrikanische Einsatztruppe? Wäre sie fähig, in äußerst kurzer Zeit zusammenzutreten?

Ich bin etwas enttäuscht über uns Europäer, weil es eigentlich nur an unserem politischen Willen mangelt. Wenn wir gewollt hätten, gäbe es diese kleine Friedentruppe längst vor Ort. Die westafrikanische Friedenstruppe in Liberia ist dafür ein Vorbild. Uganda hat eine außerordentlich fähige Staatsführung, die sich den Respekt der gesamten Kontinents erworben hat...

... auch von seiten Zaires?

Ja, einfach durch ihre Erfolge. Ich glaube, daß Uganda im afrikanischen Konzert eine wichtige Größe geworden ist. Tansania ist ein stabiles Land, gewiß entsetzlich arm, trotzdem könnte es eine wichtige Komponente in dieser Friedenstruppe sein, weil es eher als prohutu gilt. Äthiopien ist das erfahrendste Land, aufgrund der Erfahrung der tigreischen Befreiungsbewegung.

Eine afrikanische Truppe würde besser, effektiver und schneller eingreifen können. Eine solche Truppe könnte innerhalb von drei Tagen an der Grenze zu Zaire sein. Sie könnte einen humanitären Korridor freimachen – nicht freikämpfen. Es kommt ja hier nur auf die demonstrative Stärke der Truppe mit der entsprechenden Unterstützung an.

Wenn wir es diesmal ein bißchen besser machen wollen als 1994, dann dürfte es nicht wieder zu den großen, fetten Flüchtlingsdörfern kommen. Wir haben es ja in Somalia geschafft, die Flüchtlinge besser zu versorgen als die Zivilbevölkerung. Bei der Einrichtung der Sicherheitszone müßte alles auf die Rückführung der Flüchtlinge ausgerichtet werden.

Die bewaffneten ruandischen Hutu-Milizen, die sich im Westen von Goma zurückgezogen haben, scheinen im Moment das größte Problem zu sein. Sie haben bereits seit 1994 Zivilisten als menschliches Schutzschild benutzt. Werden sich die Hutu-Milizen durch eine afrikanische Interventionstruppe wirklich einschüchtern lassen?

Die Entwaffnung der Milizen ist im Sommer 1994 versäumt worden. Inzwischen sind dort unfassbar viele Waffen aus aller Herren Länder den Milizen zugeflossen. Das wurde durch den UN-Bericht an den Sicherheitsrat bekannt. Die Lage ist insofern schwieriger und nicht leichter geworden. Doch gleichzeitig scheint den ruandischen Militärs etwas Entscheidendes zu fehlen: ein charismatischer Führer, der die Idee der Rückeroberung Ruandas glaubhaft personifizieren könnte.

Zweitens sind die Milizen und die ehemalige ruandische Armee zu einer Invasion über den Kivusee nicht in der Lage. Das haben auch die UN-Menschenrechtsbeobachter bestätigt. Es gab im Prinzip keine militärische Bedrohung der ruandischen Grenze. Deshalb könnte es demonstrativen Verbänden gelingen, eine Zone freizuhalten. Entsprechend große Drohgebärden, beispielsweise mit US- Flugzeugen, würde diesen versprengten Desperados des Völkermordes den Rest geben. Schon bei der Eroberung von Kigali hat man gesehen, daß diese Soldaten verludert waren. Schon früher sagte man, daß die Soldaten des alten ruandischen Regimes die Kalaschnikow in der rechten und das Primus- Bier in der linken Hand hatten. Diese Gruppe hat keine Perspektive.

Welche Rolle kann Zaire, das den Zugriff auf einen Teil seines Territoriums verloren hat, spielen?

Das ist wohl die schwierigste Frage. Es wäre für die Seele des Landes wichtig, daß die Europäer und die Amerikaner eine feierliche Erklärung abgeben, daß für sie Zaire in den alten Grenze des Kongo existiert. Zaire muß signalisiert werden, daß es ein Faktor in dieser Region ist. Sonst drohen Kurzschlußreaktionen.

Falls nun doch eine multinationale Truppe geschickt wird: Welches Mandat sollte sie haben?

Das Mandat sollte zeitlich und geographisch begrenzt sein, schon um Zaire nicht zu beunruhigen. Diese Operation muß kurz sein, höchstens sechs Monate, und in der Rückführung der Flüchtlinge münden. Die Sorgen, daß den Flüchtlingen bei der Rückführung Repressalien drohen, scheinen mir grundlos zu sein. Im August sind 80.000 Flüchtlinge aus Burdundi nach Ruanda zurückgeführt worden. Das verlief sehr korrekt, es gab keine Zwischenfälle. Die ruandische Regierung hat verstanden, daß es wichtig ist, wenn die Flüchtlinge im eigenen Land sind. Nicht nur aus humanitären Gründen, sondern weil sie dann besser kontrolliert werden können – im staatsrechtlichen Sinne. Interview: Daniel Stroux