Feministische Sicht der Umverteilung

Die Krise des Sozialstaats führt zu tiefen Lebensbrüchen. Doch wovor Männer Angst haben, das meistern Frauen schon lange. Ein frauenpolitischer Kongreß über globale Gerechtigkeit  ■ Aus Hamburg Karin Flothmann

„Köchin stellt ihr Talent im Tausch gegen ein Bücherregal zur Verfügung.“ So preisen seit gut einem Jahr Frauen in der norddeutschen Kleinstadt Wedel ihre Fähigkeiten an – tauschen einen Hausputz gegen Gartenarbeit, eine selbstgenähte Hose gegen ein opulentes Mahl. „Talenta“ nennt sich diese Form der Nachbarschaftshilfe von rund fünfzig zumeist jüngeren Frauen, die in ihrer Mehrzahl Kinder großziehen und nicht zusätzlich arbeiten. Kinderbetreuung ist besonders gefragt. Die Tauschbörse erleichtert den Frauen den Alltag, ein Ersatz für Erwerbsarbeit kann und will sie nicht sein.

„Talenta“, das war eines der raren Beispiele aus der Praxis, mit dem sich die „feministische Debatte zur Krise des Sozialstaats“ am Wochenende schmücken konnte. Ansonsten überwog auf dem frauenpolitischen Kongreß, zu dem die FrauenAnstiftung nach Hamburg eingeladen hatte, die Theorie. „Globale Gerechtigkeit?“ lautete die Kernfrage, die die Organisatorinnen sich und den mehr als hundert Teilnehmerinnen gestellt hatten. Denn die Krise des westlichen Sozialstaates und damit der Abbau sozialer Leistungen, so die Eingangsthese der Politologin Margharita Zander, werde nur vordergründig durch den Geldmangel der Nationalstaaten ausgelöst. Die Ursache der Krise sei vor allem in globalen Veränderungen zu finden, die bisherige Berufsbiographien und Lebensformen tiefgreifend veränderten.

Dörthe Jung vom Frankfurter Büro für frauenpolitische Forschung schöpfte gerade daraus Hoffnung. Immerhin sei absehbar, daß auch Männer, bedingt durch den fortschreitenden Zusammenbruch des Vollzeitarbeitsmarktes, immer häufiger mit Lebensbrüchen konfrontiert würden. Frauen kennen diese Brüche zur Genüge, sei es, weil sie erwerbslos werden oder weil sie Kinder kriegen und dadurch gezwungen sind, für eine Zeit aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Daher, so frohlockte Jung, könnten Frauen doch zu „Pionierinnen einer neuen sozialen Umverteilung“ werden. Immerhin, so ihr Postulat, verfügten Frauen aufgrund ihrer Lebenswege schon heute über „hohe soziale Verantworlichkeitskompetenzen“. Sie könnten einfordern, daß sich soziale Sicherungssysteme nicht vorrangig an der Erwerbsarbeit orientieren. Sie könnten sich dafür einsetzen, daß die unbezahlte Reproduktionsarbeit, also die Erziehungs-, Pflege- und Beziehungsarbeit, einen höheren Stellenwert erhält.

„Care“ lautete denn auch eines der feministischen Zauberworte, auf deutsch „Sorge“. Gemeint ist nicht die Fürsorge des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaats; gemeint sind Sorge und Aufmerksamkeit füreinander. Die gesellschaftliche „Care-Perspektive“, wie sie die niederländische Politologin Selma Sevenhuijsen propagierte, setzt Fähigkeiten voraus, die gemeinhin dem Weiblichen zugeschrieben werden: etwa das Zuhören-Können oder die Bereitschaft, die Bedürfnisse anderer zu sehen und darauf zu reagieren. Ausgangspunkt ist dabei der Gedanke, daß der einzelne Mensch nur innerhalb und aufgrund eines sozialen Netzes von Beziehungen existiert. Politisch und gesellschaftlich, so Sevenhuijs, müsse daher endlich anerkannt werden, daß „jeder Mensch irgendwann in seinem Leben bedürftig ist und Sorge braucht, ob als Kind, kranker oder alter Mensch“.

Ein unbedarfter Blick auf das Care-Konzept legt nahe, daß Frauen also ganz richtig aufgehoben sind in ihrer Rolle als Mütter und Krankenschwestern, Beziehungstherapeutinnen und Altenpflegerinnen, Putzfrauen und Köchinnen. „Dieses Care riecht viel zu sehr nach Ehrenamt“, bemerkte denn auch prompt eine erzürnte Teilnehmerin. Konkret wurde erst die Politik. Umverteilung von Erwerbsarbeit lautet die Devise der Bündnisgrünen. Die Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit, so die arbeitspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Marieluise Beck, bleibe dabei die einzige Möglichkeit, Frauen aus der Armut herauszuholen.

Um Arbeit gerecht zu verteilen, setzt sie auf die Verkürzung von Arbeitszeit. Von derzeit rund 1.600 Jahresarbeitsstunden pro Kopf und Jahr müsse das Volumen auf 1.100 Stunden reduziert werden, das entspräche einer 27-Stunden-Woche. Der Lehrerhaushalt mit mittlerem Einkommen akzeptiert die reduzierte Arbeitszeit schon heute gerne. Doch wie sollten Verkürzungen in unteren Lohngruppen realisiert werden? Beck setzt auf zwei Strategien: Zum einen sollten untere Einkommen von der Steuer freigestellt werden, außerdem müßte ein bedarfsorientiertes Kindergeld eingeführt werden. Offen blieb die Frage, wie Männer denn an die „Care-Perspektive“ herangeführt werden könnten. Denn üblicherweise widmet sich Vati in seiner Freizeit lieber Sportverein oder Auto als Kindern oder Hausarbeit.

Könnten etwa gesetzliche Regelungen Männer zur Hausarbeit verpflichten? Marieluise Beck bleibt skeptisch. Dabei wäre alles doch so einfach. Warum, so gibt eine Kongreßteilnehmerin zu bedenken, wird nicht einfach der Zugang zur Rente per Gesetz an die Reproduktionsarbeit gekoppelt? Wer ein Anrecht auf die Rente erwerben möchte, müßte nur nachweisen, daß er einige Jahre lang Kinder erzogen, daß er Alte und Kranke gepflegt oder sich im Umweltschutz engagiert hat.