Magie und Verblödung

■ Das 21. Jazzfest in der Fabrik schlägt die ganze Spanne vom Triefnasen-Jazz bis zur produktiven Zündung

Großmächtig warf sich Michael Naura bei der Pressekonferenz zum diesjährigen Jazzfest in der Fabrik in die Brust. Er werde sich den Autoren der Szene „mal vorknöpfen“, der sich erlaubt hatte, das Programm des diesjährigen Festivals in einer Vorankündigung als langweilig, unattraktiv und vergreist zu bezeichnen, und unbestimmte Drohungen folgten. Es ist dies derselbe Michael Naura – auch als Jazz-Oberlehrer des NDR bekannt –, der in seinem offiziellen Vorwort im Festivalprogramm den schwarzen Jazzmusiker Wynton Marsalis „farbig“ nennt. Trotz seines beschränkten musikalischen Horizonts empfehlen wir dem alten Mann mal, sich das Technostück „And You Got The Fucking Mind To Call Me Coloured“ anzuhören, wo in freundlicher Weise Leuten wie ihm erklärt wird, wer die eigentlichen Farbigen auf dieser Welt sind.

Doch nun zum Programm und damit erstmal zu den Gästen, die man – Szene-Autor „gb“ folgend – wohl mit gewissem Recht, wenn auch etwas böse, in den Kreis jener Leute rechnen muß, für die vielleicht der Energie-, nicht aber der Impulserhaltungssatz gilt: Pianist McCoy Tyner, Gateway mit den Triefnasen John Abercombie, Dave Holland und Jack DeJohnette, Dichter Wolf Wondratschek und Michael Naura, die gemeinsam auftreten, und Gitarren-Schlunz Mike Stern.

Auch den Wetterberichtler Joe Zawinul würde man für gemeinhin in diese Liste aufnehmen müssen, aber wenn er etwas von der verschrobenen Energie seines My People-Projektes, wo er den Dialog mit Musikern aus aller Welt zum Programm machte, in seine eigene Band retten kann, dann ist der Elektrolurch vielleicht auch für einen kreativen Kurzschluß gut.

Gemeinsam mit ihm treten am Samstag jene Musiker auf, von denen man sich die Überraschungen und Reibungen versprechen kann, die auch das Standardssingende Energiebündel Dianne Reeves und die gefällige Akustik-Jazz-Klischees verbreitende Rachel Z nicht wirklich verlockduften. Youssou N'Dour stellt sein Jololi-Label vor, mit dem er in seiner Heimat Senegal musikalische Aufbauarbeit leistet. Die Einkünfte seiner Welthits reinvestiert N'Dour für die Förderung lokaler Stars. Etwa Cheik Lô, dessen jüngst erschienenes Welt-Debut Né La Thiass auf der Basis rhythmischer Gitarrenarbeit Sergio Leone, spanische Folklore, senegalesische Tanzmusik und feine Percussionarbeit zu schnellen, afrikanischen Popsongs mixt. Oder die „Gebetssängerin“ Yandé Codou Sène, die jene archaische Tonarbeit beherrscht, die schon so manchen Missionar um den Verstand gebracht hat. Gemeinsam mit diesen und seiner Super Etoile Band wird N'Dour beweisen dürfen, daß das Wenden des Immergleichen im immergleichen Publikum nicht die Zukunft des Jazz sein muß. Im Anschluß daran wird der algerische Sänger Takfarinas, der, ausgehend von traditioneller Berber-Musik, Disko-München-1970, Rai und französische Popmusik auf Techno-Geschwindigkeit mixt, seine tanzbaren Predigten für ein menschliches und freies Leben in seinem gewaltgebeutelten Heimatland halten.

Opulenten Arrangement-Jazz für Leute liefert Michael Gibbs mit der NDR-Big Band, und das deutsche United Women's Orchestra will den Beweis antreten, daß Frauen Big-Band-Musik ohne männliche Fettschichten spielen können.

Freuen darf man sich zum Abschluß des viertägigen Festivals am Sonntag auf den Soloauftritt des irren Jazz-Russen Mikhail Alperin, der energiereiche Kohlehydrate aus der Musik der in der GUS ehemals verstreuten Völker für seine Klavierarbeit zieht und mit seinem Moskau Art Trio auch die Innovation nicht erfunden hat, aber die Konvention mit ordentlichem Appetit versieht.

Till Briegleb

Do, 14.11.: McCoy Tyner/Dianne Reeves; Fr, 15.11.: M. Gibbs/Rachel Z Trio/Gateway/United Women's Orchestra; Sa, 16.11.: Zawinul/Youssou N'Dour/Takfarinas; So, 17.11.: M. Alperin/M. Stern; Beginn: 21 Uhr, Fabrik