Schirm & Chiffre
: Im Kunsthaus unterwegs

■ Umgeräumt auf CD-ROM: das Tacheles 1991–1996

Wie lange sich die Räumung des Tacheles auch hinzieht – zumindest als Datensatz wird das ehemalige Kaufhaus an der Oranienburger Straße erhalten bleiben. Eine soeben erschienene CD-ROM dokumentiert die Projekte und Werke aller KünstlerInnen, die seit 1991 im Haus gearbeitet haben. Und da die Kunst, die dort gezeigt wird, alle Sparten umfaßt, bietet sich eine multimediale Dokumentation geradezu an.

Die Schnittstelle zwischen dem realen und dem digitalen Tacheles ist denkbar einfach: es ist die Struktur des Hauses. Eine stilisierte Seitenansicht des Gebäudes läßt sich in irgendeiner Etage anklicken, daraufhin hat man den Grundriß dieser Etage (weiße Zeichnung auf schwarzem Hintergrund) vor Augen. Der Cursor verwandelt sich in ein rotes Tacheles-Emblem, wenn er sich über etwas „Anklickbarem“ befindet.

Da sind zum Beispiel die einzelnen Räume einer Etage, die sich per Mausklick „erhellen“: Der Name des Künstlers, der dort arbeitet oder die Funktion des Raums wird sichtbar; gleichzeitig ist eine kleine Vorschau dessen zu sehen, was einen in dem Raum noch erwartet. Im einfachsten Fall sind dies Ablichtungen der Werke (Bilder oder Skulpturen), dazu Foto und Biographie des Künstlers. Meistens aber geht die Dokumentation weiter: Musik, Ton oder Text, Ansichten des Raums, Videos von Theateraufführungen, eigens für die CD erstellte digitale Werke.

Verschiedene Wege führen durchs Haus. Will man nicht wieder in den Gebäudeaufriß zurück, kann man sich mit Hilfe kleiner Stufensymbole treppauf oder treppab vom Keller bis in die 5. Etage bewegen. Neben den Ateliers gibt es außerdem zu erkunden: Metallwerkstatt, Galerie K, Café Zapata, Theatersaal (mit Veranstaltungsüberblick 1991–96), Kino Camera, Kino- Café, Blauer Salon.

Dies ist allerdings nur das Kernstück der CD, im Hauptmenü unter „Innenansichten“ abgelegt. Hinzu kommt die Freifläche hinter dem Tacheles mit den Veranstaltungen, die dort stattgefunden haben; Außenansichten des Tacheles in Form von Fotoserien. Außerdem wird die Geschichte des Tacheles erzählt: ausführlich die des Gebäudekomplexes der Friedrichstraßen- Passagen (von 1904) oder die Vorgeschichte des Tacheles (die Tacheles-Künstlergruppe in der damals noch existenten DDR samt Tacheles-Gesängen) und die Geschichte seit der Besetzung bis zur aktuellen Situation. Einen weiteren Schwerpunkt bildet ein Überblick über die Arbeiten von 45 Tacheles-Künstlerinnen und -Künstlern sowie die Theatergruppen Ikaron, R.A.MM., Ziguri Ego Zoo etc.

Alles in allem nicht wenig Material – und geschickt aufbereitet. Das Interface zurückhaltend gestaltet, auch farblich, mit den Grundfarben Schwarz, Weiß und Grau, von denen sich rot das Tacheles-Emblem und manche Schriftzüge abheben. Es nimmt sich gewissermaßen zurück vor den Aktivitäten und Geschichten, zwischen denen es das Umschalten ermöglichen soll.

Das elektronische Medium eignet sich besonders gut, um das Tacheles, das sich ja auch als soziale Bewegung (mit internen und externen Auseinandersetzungen) versteht, zu begleiten. Eine Fortschreibung und Aktualisierung ist geplant. Auch im Entstehungsprozeß war die CD ein Work in progress: Seit einem Jahr konnte man sich den jeweiligen Stand der elektronischen Dokumentation auf einem PC im Erdgeschoß des Tacheles anschauen, die Beteiligten bekamen auf diesem Wege eine Rückmeldung, wie ihre Beiträge aufs Publikum wirkten. Bleibt nur zu wünschen, daß das digitale Tacheles seinem realen Gegenstück in den anhaltenden Auseinandersetzungen den Rücken stärken kann. Gustav Roßler

„Kunsthaus Tacheles“; erforderlich Windows 3.1x, 486er, 4 MB RAM, 256 Farben, 50 DM (Studenten, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger 20 DM; in Kürze über den Buchhandel erhältlich, ansonsten über: Tacheles e.V. Tel. (030) 282-6185, Fax: -3130