: Tschechiens geheimnisvoller Geheimdienst
■ Ziviler Sicherheitsdienst soll Vizepremier bespitzelt haben. Regierungschef Klaus bemüht sich um Schadensbegrenzung. Am Wochenende wird der Senat gewählt
Prag (taz) – Nun hat auch Tschechien seinen ersten großen Geheimdienstskandal. Am Montag trat der Chef des Nachrichtendienstes (BIS), Stanislav Devatý, zurück. Auslöser war am Freitag vergangener Woche ein Auftritt des Vorsitzenden der Christlich- Demokratischen Volksunion (KDU-CSL) und Vizepremiers Josef Lux. Zitternd verkündete Lux vor Journalisten, daß er vom tschechischen Nachrichtendienst beschattet worden sei. Entsprechende Dokumente lägen ihm vor.
Bereits einige Tage zuvor hatte die für die Kontrolle des BIS zuständige Parlamentskommission den Geheimdienst beschuldigt, Akten zu fälschen und belastendes Material veschwinden zu lassen. So sei auch zu erklären, daß vor anderthalb Jahren, als der zweite Vizepremier und Vorsitzende der „Demokratischen Bürgerallianz“ (ODA), Jan Kalvoda, die gleichen Verdächtigungen wie jetzt Lux vorbrachte, nichts bewiesen werden konnte: Das belastende Material hatten BIS-Mitarbeiter versteckt. Erschreckender als die Beschattung sei, daß der Nachrichtendienst sich jeder Kontrolle entziehe, stellte Vizepremier Lux fest und forderte Aufklärung.
Die jüngsten Anschuldigungen brachten das BIS-Faß endgültig zum Überlaufen. Einige Tropfen lieferte auch der Wahlkampf. An diesem Wochenende wird in Tschechien erstmals der Senat gewählt. Und just an dem Tag, an dem Vizepremier Lux seine Verdächtigungen gegen Devatý vorbrachte, sagten die letzten Meinungsumfragen einen klaren Sieg der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) von Premierminister Václav Klaus voraus. Kein Wunder also, daß der Premier um Schadensbegrenzung bemüht war und alle Anschuldigungen gegen den BIS und Devatý zurückwies.
Auch nach Devatýs Rücktritt betonten sowohl Premier Klaus als auch sein Parteikollege Innenminister Jan Ruml, daß der „unschuldig angegriffene“ BIS-Chef ihr Vertrauen genieße. Zudem wiesen sie erneut alle Anschuldigungen zurück. Der BIS habe weder Material verschwinden noch Politiker beschatten lassen. Dies seien Hirngespinste derer, die aus der Situation wahlpolitisches Kapital schlagen wollten.
Der Geheimdienst und sein vor knapp vier Jahren provisorisch eingesetzter Chef Devatý sorgen nicht zum ersten Mal für Streit innerhalb der Koalition. Im Januar vergangenen Jahres hätte der um den BIS geführte Koalitionskrieg fast zum Bruch der Regierung geführt. Auch damals hatte sich die ODS hinter Devatý gestellt. Diesem war Unfähigkeit und Parteilichkeit vorgeworfen worden. Oppositionschef Miloš Zeman erklärte sogar, daß Geheimdienst und Innenministerium von der größten Koalitionspartei für politische Zwecke mißbraucht würden. Diese Behauptung brachte Zeman gestern auch sogleich eine Rücktrittsforderung seitens des Innenministers ein.
Daß die ODS von Premier Klaus trotz aller vorausgegangenen Skandale so lange an Devatý festhielt, hatte in den vergangenen Tagen für Spekulationen gesorgt. So vermutete der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Stanislav Gross, daß hinter der Sache etwas Größeres stehe, da die Klaus-Partei so offensichtlich bemüht sei, alles zu vernebeln. Wenn sich einmal die Schubladen des BIS öffnen, würde Interessantes zum Vorschein kommen, orakelte die linksorientierte Tageszeitung Pravo.
Mit seinem Rücktritt hoffe er zur Beruhigung der politischen Situation beizutragen, erklärte Devatý. Doch das scheint eher Wunschdenken zu sein. Denn der Geheimdienst und dessen Chef sind direkt dem Premier unterstellt. Die politische Verantwortung für den Skandal müsse Klaus tragen, war auch gleich von Sozialdemokraten und Kommunisten zu hören. Die Geheimdienstaffäre kommt für den Regierungschef denkbar ungelegen. Jetzt könnten die Senatswahlen, entgegen ihrer ursprünglich zugedachten Rolle, zu etwas ganz anderem werden: Zu einer politischen Abstimmung über die Zukunft der Regierung Klaus. Katrin Bock
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