Eine Entweihung von Ansprüchen

■ Thalia: Nicolai Sykosch inszenierte Lenz' „Der neue Menoza“ boulevardesk

Wie traurig muß es in Hamburgs Geschäftszimmern zugehen, wie witzlos hat sich hanseatisches Savoir-vivre auszunehmen, wenn ein Komödienpublikum derartig einfach zufriedenzustellen ist, wie am Sonnabend mit Nicolai Sykoschs Lenz-Inszenierung Der neue Menoza. Dem zahnlosen Wiehern einer Klamotte auf der Bühne antworteten finale „Bravos“, als hätte man der Einweihung in statt einer Entweihung von Ansprüchen beigewohnt. Aus der Möglichkeit, einer bissigen Satire den Hohn und Spott über die handelnden Personen abzutrotzen, gewinnt Sykosch nur eine Handwerkerlösung.

Seine Figuren sind wahrlich Figuren: Der bar jedes moralischen Geschirrs durch die Lustwelt galoppierende Graf Camäleon ist hier ein kleiner Porsche-Depp mit Haarzopf in lila Strampler und Kuhjungenstiefeln, der weniger wie ein Überbleibsel des Barock als wie ein Internatszögling im Bordell wirkt. Die von ihm verlassene Donna Diana überschreitet das scharf gerasterte Klischee einer flamenco-feurigen Spanierin aus dem Neckermannkatalog nicht um einen Tanzschritt. Und der Prinz Tandi ist weniger ein Zauberspiegel aus der Ferne, in dem sich die europäische Kultur plötzlich nackt sieht, als ein alberner Exot im Federschmuck mit Pubertätsproblemen.

Im Gegensatz zu einer Satire, die die vorgestellten Personen ernst nimmt, ist das Boulevardtheater, das bei Sykosch von dem Stück übrig bleibt, eine seelenleere Hülle aus Häme, Klamauk und aufgeregtem Slapstick. Lediglich Gerd Kunath, der für die Rolle des Herren von Biederling vom Kölner Schauspiel als Gast zurück ans Thalia kam, und Annette Paulmann als grämig-komische Amme Babet finden in diesem Stück ihren Ort, an dem Literatur Mensch wird. Kunath in all seiner biedermeierlichen Zurückhaltung, mit der er als vernünftiger Patriarch die Register seiner Rolle zwischen bestimmter Machtpolitik und ironischer Schicksalsergebenheit zieht. Und Annette Paulmann, indem sie Slapstick und Komik immer nur bis vor das Maß treibt, wo Humor in Geplärre umschlägt.

Mit starrem Blick auf die Erzählung der komplizierten, aber eher belanglosen Handlung – im Gewirr des Siebenjährigen Krieges werden Babies vertauscht und gehen Söhne verloren, was nach vielen Jahren durch groteske Zufälle zu einem familiären Chaos mit Happy-End führt – entgeht Sykosch alles, was an wunderlicher Schönheit und gedanklichen Konflikten in dem Stück verborgen steht. Beispielsweise kann man den Krach zwischen Sturm und Drang und der Aufklärung nicht mit Nymphchen, buckligen Punkern und Klim-Bim-Lautstärke aufführen, wenn man sich nicht darum bemüht, vergleichbare Haltungskämpfe in der passenden Zeit aufzuspüren. Aber was zählt das, bei dem Erfolg?

Till Briegleb