Gedrucktes vom Bücherminister

■ Klaus Höpcke, langjähriger Zensor der DDR-Literatur, strickt seine biographische Legende fort. Eine Abschaffung der Zensur fand nicht statt

Sechzehn Jahre lang hat Klaus Höpcke jener Behörde vorgestanden, die darüber entschied, ob ein Buch in der DDR jemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken würde. Nun hat der einstige „Bücherminister“ und heutige PDS- Landtagsabgeordnete selbst ein Buch veröffentlicht. „Geordnete Verhältnisse?“ heißt der Band, der eine Reihe von Landtagsreden, Briefen, Leserbriefen und Zeitungsbeiträgen enthält. Erschienen ist er in einem kleinen sächsischen Verlag mit dem Namen Gesellschaft zur Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung (GNN), wo er sich in trauter Gemeinschaft mit Titeln wie „Bis zum bitteren Ende – 35 Jahre im Dienste des MfS“ oder „Ich möchte ich bleiben. Lebenslauf eines mittleren Kultur-Kaders“ befindet. Neben den Kampfattacken gegen den „menschenverachtenden Vernichtungskampf der BASF“, rhetorischen Ausfällen gegen die „Fremdhand, Treuhand genannt“ und allerhand provinzparlamentarischem Possenspiel enthält Höpckes Buch auch einige Beiträge, in denen er sich auf sein Wirken als Kulturfunktionär in der DDR besinnt.

Höpcke hatte sich bereits 1965 mit einem Artikel im Parteiorgan Neues Deutschland, der den Auftakt für eine öffentliche Hetzjagd auf Biermann bildete, für höhere Aufgaben empfohlen. Eine Kostprobe: „Herr Biermann weigert sich also, den schönen und hohen Auftrag der Schriftsteller in unserer Republik zu erfüllen, den Aufbau der neuen gerechten Gesellschaftsordnung literarisch darzustellen.“ Von 1973 bis 1989 leitete Höpcke die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Kulturministerium, die gemeinsam mit den Verlagen die jährlichen Titel- und Themenpläne beschloß und jedes Manuskript einzeln prüfte.

Höpcke dreht die Tatsachen so, wie er sie braucht: Wenn es um seine Verantwortung für die repressive Kulturpolitik in der einstigen DDR geht, war er nur das kleine Rädchen in der machtvollen Kulturbürokratie. Auf der anderen Seite jedoch habe er sich auf der ganzen Linie für die Belange der Schriftsteller eingesetzt und letztlich gar für die Abschaffung der Zensur gesorgt. Der einstige Bücherminister spinnt eifrig an einer Legende: Nicht der taktisch flexible Vertreter einer auf staatspolitische Konformität bedachten Kulturpolitik im Rang des stellvertretenden Ministers sei er gewesen, sondern ein Vermittler zwischen Geist und Macht, quasi jemand, der durch die Abschaffung der Zensur den morschen Ast abgesägt hat, auf dem er mit seiner Behörde saß. Höpcke spekuliert auf die Unwissenheit seines Publikums oder auf die Neigung, es nicht genauer wissen zu wollen. Welche Rolle aber spielte der Minister wirklich im Literaturbetrieb der DDR, und was hatte es mit der „Abschaffung“ der Zensur in der DDR auf sich?

Will man sich ein Bild vom Wirken des Bücherministers machen, kann man inzwischen auf zahlreiche Dokumentationen zurückgreifen. Höpcke gehörte zur zweiten Generation der Kulturfunktionäre in der DDR. Hatten Funktionäre wie Alfred Kurella, Wilhelm Girnus und Alexander Abusch bis in die späten sechziger Jahre hinein noch versucht, die Literatur in der DDR für die politischen Zwecke der SED dienstbar zu machen, fiel es den jüngeren Funktionären zu, die Gefahr der ideologischen Aufweichung zu bannen. Die Schwierigkeit bestand für Höpcke zunehmend darin, daß im ZK und im Politbüro der SED nach wie vor die alte Riege mit ihren alten Ansprüchen und Methoden das Sagen hatte. Hier mußte Höpcke tatsächlich für einen Ausgleich sorgen, jedoch nicht als Anwalt der Autoren, sondern im Interesse der Macht. Und in diesem Interesse konnte es schon einmal nützlich sein, der Staatssicherheit ganze Maßnahmepläne zu diktieren, wie mit mißliebigen Schriftstellern umzugehen sei. Im Fall von Elke Erb verfaßte der Bücherminister ein sechsseitiges Exposé für das MfS, das unter anderem die Vorschläge enthält, die Autorin aus dem Schriftstellerverband auszuschließen, ihr ein Publikationsverbot aufzuerlegen und ein Ermittlungsverfahren gegen sie einleiten zu lassen.

Daß sich Höpcke an anderer Stelle auch für Belange von Autoren und für die Duchsetzung umstrittener Bücher eingesetzt hat, war Teil seiner Rolle. Bei Gelegenheit geriet er dabei sogar in die Schußlinie von weniger flexiblen Genossen, etwa wenn die Kollegin Drenkow ihren Chef bei der Stasi anzählte, er würde „die erforderliche politisch-ideologische Verantwortung und Sorgfalt vermissen“ lassen. Höpckes größter PR-Erfolg war die angebliche Abschaffung der Zensur in der DDR. In Absprache mit der politischen Führung und den Verlegern erreichte er eine Regelung, bei der die Zensur weitgehend durch die Verlage selbst ausgeführt werden sollte und Eingriffe durch seine Behörde nur noch in brenzligen Fällen vorgesehen waren. Höpcke beruhigte die Stasi, daß es lediglich darum ginge, das Verfahren zeitlich zu verkürzen, „ohne die staatliche Aufsicht und Entscheidungsbefugnis einzuschränken“. Nachdem die neue Druckgenehmigungsordnung im Januar 1989 vorlag, ging sie den Weg durch die Instanzen. Zuletzt lag das Papier bei Stasi-Chef Mielke, der am 3. Oktober 1989 grundsätzlich zustimmte. Die „Zensur mit menschlichem Antlitz“ hatte aus den bekannten Gründen keine Chance mehr, sich in der kulturpolitischen Praxis zu bewähren. Höpcke schleppt in seinen Reden, Aufsätzen und Briefen den pseudodialektischen Mief der DDR-Zeit mit und läßt die alten Mißstände hinter neuem Unbehagen verschwinden. Die Klage gegen zu hohe Buchpreise in der Gegenwart vermischt er mit der Beschönigung der Zensurpraxis in der DDR als „verantwortungsvoll genutztes demokratisches Verfahren“.

Bei alledem könnte man wenigstens erwarten, der einstige Verfechter hoher Buchkultur hätte bei seiner eigenen Publikation einen dementsprechenden Maßstab walten lassen. Doch das Buch ist mit dem gestalterischen Charme einer Magisterarbeit ausgestattet. Als wollte er uns von den Vorzügen seines neuen Laserdruckers überzeugen, sind pädagogisch wertvolle Passagen von Landtagsreden und Artikeln im Fettdruck markiert, andere kursiv oder unterstrichen hervorgehoben. Höpcke hat sein Forum im Thüringer Landtag und auf den Leserbriefseiten einiger Zeitungen gefunden. Hier wird er weiter seine Sicht der Dinge ausbreiten. Die einzige Art der Zensur, die ihn daran hindern könnte, wäre die Selbstzensur. Peter Walther

Klaus Höpcke: „Geordnete Verhältnisse? Streitbares aus dem Thüringer Landtag“. GNN-Verlag, Schkeuditz 1996, 272 S., 24,80DM