Das Patriarchat ist passé

Die Gleichheit ist eine unproduktive Vorstellung, die sexuelle Differenz ist ein Schatz, die Praxis der Frauen muß Politik werden – über die neueste Flugschrift der Mailänder Philosophinnengruppe von der Libreria delle donne  ■ Von Katharina Rutschky

Das rote Sottosopra („Drunterunddrüber“) ist die achte Flugschrift, welche die politisch philosophierenden Frauen um die Mailänder Libreria delle donne seit 1973 einer verblüfften, oft bestürzten feministischen Öffentlichkeit als Denkfutter vorgelegt haben. Deutschsprachige Leserinnen kennen wenigstens das grüne Sottosopra von 1983, in dem die Differenzfeministinnen schon früh die Fallen einer Gleichstellungspolitik bedacht haben, lange ehe sie als Quotenzauber selbst CDU und CSU ergriff. Nicht bloß „immer noch“, sondern wahrhaftig „zunehmend“ wird eine Politik für Frauen als Heilmittel gegen ihre andauernde Benachteiligung empfohlen und praktiziert. Die Ergebnisse sind mager und bemessen sich überall in Dezimalstellenverschiebungen nach dem Komma. Immer noch, so verlautete jüngst beim Frauentag an der Freien Universität Berlin, sind bloß fünf Prozent der Professoren dort weiblich. Aus Klagen dieser Art lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Entweder sind 30 Jahre zu kurz, um mit dem Patriarchat, das ja längst kein Rechts-, sondern ein zäher Gemütszustand ist, endlich aufzuräumen; oder die Gleichheit der Geschlechter, welche die Politik anstrebt, ist eine unproduktive Phantasie, Teil der symbolischen Ordnung des Patriarchats selbst und schon deshalb ungeeignet, über es hinauszuführen. Dieser Auffassung sind die Italienerinnen, die nun schon seit Jahr und Tag behaupten, der Mensch sei zwei und das Geschlecht die irreduzible Differenz, die es nun, nach dem Ende des Patriarchats, frei zu interpretieren gälte. Dabei wird Differenz, auch die sexuelle, nicht als Zustand aufgefaßt, sondern als Potenz, als Kapital oder Schatz, der sich im Austausch mit anderen Differenzen mehren und entwickeln läßt. Haben sie sich in vielen ihrer Arbeiten mit der weiblichen Differenz beschäftigt und den Möglichkeiten, sie zur Geltung zu bringen, so laden sie im roten Sottosopra nun auch Männer ein, sich an der Revolution der symbolischen Ordnung zu beteiligen.

Das ist nur konsequent, wenn man dem Gedanken, daß das Patriarchat zu Ende ist, Raum gibt. Wie begründen die Mailänder Philosophinnen, die sich wegen naheliegender Mißverständnisse nicht mehr so gern als Feministinnen apostrophieren lassen, dieses Angebot? In Italien wie anderswo auch haben Frauen die Kontrolle über die Prokreation wiederbekommen, die ihnen vor Urzeiten von Männern geraubt worden ist, wenn auch nie so vollständig, wie eine einseitige und ungenaue Geschichtsschreibung im Zeichen der Opfertheorie uns vorgemacht hat. Frauen in Italien und anderswo arbeiten mehr als Männer, im Haus und außerhalb des Hauses. Darüber hinaus ist ihre Arbeit, qualitativ betrachtet, die zivilisierend-zivilisatorisch bedeutsamere. Frauen, so argumentiert das rote Sottosopra, leiden nicht unbedingt unter dem Ausschluß von einer C4-Professur oder anderen Chefposten, weil sie sich von vornherein für eine andere Form der Existenz entscheiden, in der die Karriere nur ein Ziel neben vielen anderen, gleich wichtigen darstellt. Mir fallen dabei die Lehrerkolleginnen von früher ein, die Beförderungen gern aus dem Wege gingen, weil sie die Arbeit mit den Schülern erheblich eingeschränkt hätten zugunsten von Sitzungen und Leitungsaufgaben, deretwegen sie den Beruf nicht ergriffen hatten. Im roten Sottosopra ist von einer „kleinen“ Gewerkschaftssekretärin die Rede, die mit ihrem Auto von Betrieb zu Betrieb tuckert, Basisarbeit leistet und mit diesem Tun die Gewerkschaftshierarchie total verunsichert, weil sich niemand dort vorstellen kann, daß sie mit dieser, zugegeben notwendigen, Arbeit kein „höheres“ Ziel verfolgt. Ist das überhaupt Politik, was die Frau da macht? Ja, sagen die Mailänderinnen, was diese und andere Frauen da tun, verdient nicht nur diese Anerkennung, es ist die eigentlich wichtige und richtige Politik. Wir brauchen, grob gesagt, keine Quote und keine weibliche Bürgermeisterin, obwohl das auch nicht schadet, wir brauchen die Praxis der Frauen als Politik.

Die kritischen Widerlegungen und Empörungen, die das rote Sottosopra von seiten des anspruchslosen, längst konventionellen Popfeminismus à la Schwarzer oder eines allzu gründlich akademisierten Staatsfeminismus erfahren wird, sind für jeden vorhersehbar, der die betrübliche Rezeptionsgeschichte der Italienerinnen in den vergangenen Jahren verfolgt hat. Die Vorwürfe oszillieren zwischen banal, biologistisch und sogar faschistoid. Wer gelernt hat, die weibliche Anatomie als sein Schicksal zu verabscheuen, hat natürlich Schwierigkeiten, Frauen wahrzunehmen, welche ausgerechnet die sexuelle Differenz zum Ausgangspunkt persönlicher und politischer Zukunftsentwürfe machen. Daß der Feminismus der trotzigen Schwestern, mit dem auch die Italienerinnen einmal begonnen haben, wohl eine Rebellion, aber keine Revolution zustande bringen kann und deshalb in PC-Aktionen aller Art versickern muß, ist inzwischen aber nicht mehr zu übersehen. Das Ende der Frauenbewegung erklärt man sich teils als natürlichen Vorgang: Soziale Bewegungen sterben eben irgendwann einmal ab wie eine Pflanze, die geblüht und Frucht getragen hat; andere kultivieren die Verfolgungsidee eines Backlash, dem zu Zeiten knapper Kassen all die schönen Frauenprojekte zum Opfer fallen, mit denen man sich gerade erst so schön eingerichtet hatte. Ein auf Sozialarbeit oder akademische Zuspitzung in Theorie und Forschung beschränkter Feminismus läßt aber sowieso die allermeisten Frauen außen vor und insbesondere den Nachwuchs inzwischen völlig kalt.

Demgegenüber haben die italienischen Differenzfeministinnen das Kunststück fertiggebracht, aus ihren persönlichen Erfahrungen in der Frauenbewegung durch Selbstbeobachtung und Reflexion zu lernen und immer weiter zu denken. Das teilt sich schon atmosphärisch beim Lesen auch des letzten Sottosopra mit, das wie alle vorigen aus einem kollektiven Diskussionsprozeß hervorgegangen ist. Keine leichte Lektüre, aber der Geist der Inspiration, der die Autorinnen beflügelt, verführt auch den Leser, ein Risiko einzugehen.

Woran ist bisher die Vermittlung dieses bewegten Denkens nach Deutschland gescheitert? An fehlenden Übersetzungen kann es nicht liegen, obwohl ein Sprachproblem sich auch bei guten Übersetzungen stellt. Die Italienerinnen reden kein Soziologisch, bei uns die approbierte Sprache der feministischen Avantgarde, sie schreiben philosophische Literatur. Mir scheint, daß diese Sprache auch die gegenwärtig einzig mögliche und richtige ist, über den ausgereizten Emanzipations- und Gleichstellungsfeminismus hinauszugelangen. Das muß nicht, könnte aber geschehen. Das rote Sottosopra erinnert an das Leiden der Hysterie, das vergangen ist. Das Leiden der gleichgestellten Frau heute ist die Depression, das Gefühl einer namenlosen Enttäuschung und inneren Leere, das sich mit Krach und Krawall, Feindbildpflege und Schuldzuweisungen heute nur noch betäuben, aber nicht mehr verändern läßt.

Mit Heike Kahlerts gelehrtem Buch liegt nun erstmals eine gründliche Darstellung des italienischen Differenzfeminismus aus sympathetischer Sicht vor. Es ist eine enorm umsichtige und nichts auslassende Untersuchung der Theorie, einzelner Theoretikerinnen, ihrer Vorläuferinnen und Quellen. Ein dickes Literaturverzeichnis erschließt jedem neugierig Gewordenen den Textfundus, aber auch die kritische, durchweg ablehnende Rezeption durch unsere Feministinnen. Als Einführung und Handbuch wird es lange unentbehrlich bleiben. Als wohlmeinende Vermittlerin zwischen Italien und Deutschland versucht Kahlert außerdem, auf dem Debattenweg die Gegensätze zu nivellieren und Anknüpfungspunkte ausfindig zu machen. Können wir nicht beides haben, Gleichheit und Differenz? Was man theoretisch unter einen Hut bringen kann, im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit, muß im Leben nicht funktionieren. Daß die Sprache der Italienerinnen, die philosophisch-literarische Form ihrer Mitteilungen und die soziale Praxis, in der sie denken, nichts Zufälliges und Äußerliches sind, kommt bei Kahlert zu kurz. Die Italienerinnen haben sich bewußt neben den Institutionen, zum Beispiel der Universität, etabliert, auch wenn viele von ihnen dort arbeiten. Ich rate es mir schon länger und rate auch anderen: Lernen wir Italienisch! Das rote Sottosopra liegt, um diesen Vorgang zu befördern, übrigens zweisprachig vor.

„Libreria delle donne di Milano: Il patriarcato è finito – Das Patriarchat ist zu Ende“. Aus dem Italienischen von Traudel Sattler. Göttert Verlag, 1996.

Heike Kahlert: „Weibliche Subjektivität. Geschlechterdifferenz und Demokratie in der Diskussion“. Campus, 240 S., 49,80 DM