■ Schöner Leben
: Kuh-Suizid?

Züge verwandeln sich, sobald sie auf offener Strecke stehenbleiben, umgehend in zuschlagfreie Soziotope. Zum Beispiel neulich im schönen Münsterland. Der Zug hält, bloß Dunkelheit ringsum, in der Ferne die Lichter eines kleinen Bahnhofs. Ein „Objekt“ sei mit der Lok des vorangehenden Zuges kollidiert, die Strecke erst mal „auf unbestimmte Zeit“ blockiert. Sofort spüren die Organisationskanonen unter den Reisenden starke Impulse in sich. Einer ist schon mal ausgestiegen, zum nächsten Telefon gestapft, hat ein Taxi bestellt. Wer noch mitwolle, fragt er durch die Gänge. Schnell finden sich genügend Leute. Inzwischen ist's schon ziemlich belebt auf der Strecke. Wer nicht zu buddhistischen Glaubenssätzen neigt und mit der „unbestimmten Zeit“ keine Probleme hat, ist ausgestiegen und spekuliert, ob Sabotage oder Kuh-Suizid vorliegt.

Guter Dinge sind die Gäste im Speisewagen, wo der Grüne Veltliner fließt und Tafelspitz unablässig aus der Bordküche kommt – österreichische Woche bei der Mitropa. Eine Viertelstunde später ein Pfiff. Abfahrt! Rückzug zum Zug, Pech für den Taxifahrer. Das „Objekt“ auf der Strecke hatte wohl doch vier Beine, munkelt der Schaffner, „weil es so schnell gegangen ist“.

Trügerische Erleichterung. Denn nach drei Kilometern ist wieder Stillstand, diesmal eine gute Stunde und so weit vom Schuß, daß keiner einfach aussteigen kann und mit dem Taxi weiterfahren. Handy-BesitzerInnen räumen schon mal ihr Telefon weg, wohl wissend: Nur Psychokrüppel wagen jetzt noch, ostentativ zu telefonieren, alle anderen fürchten die drohende Massen-Bittstellerei der Handylosen.

Die Gäste im rauchgeschwängerten und vollbesetzen Speisewagen fürchten gar nichts, außer daß die Veltliner-Vorräte zur Neige gehen. Das „Objekt“ auf der Strecke sei „schlimmstenfalls ein Mensch“, verlautet der Zugchef jetzt per Durchsage. An der Lok seien Blutspritzer, will jemand wissen. „Hat's Ihnen geschmeckt?“ fragt die Bedienung am Nebentisch. Eineinhalb Stunden später Einlaufen in Osnabrück. Der Anschluß nach Diepholz „wird noch erreicht“. Alexander Musik