Ehering bitte ausziehen

■ Die Bremer Lebensmittelkontrolleure klagen: „Wir sind zu schlecht ausgebildet!“

Noch nehmen Bremens Lebensmittelkontrolleure – elf Männer und Frauen sind tags und vor allem nachts im Einsatz – alles selbst in Augenschein: Gaststätten, Betriebe, Imbißbuden, Stadtfeste. Im Supermarkt überprüfen sie, ob die Temperatur in der Tiefkühltruhe stimmt und die Stapelhöhe nicht überschritten wird. An der Fleischtheke wird inspiziert, ob der Fleischer seinen Ehering (falls vorhanden) ausgezogen hat, bevor er das Hackfleisch aus dem Wolf zieht. Denn unter Ringen sammeln sich gerne Bakterien.

Doch bald werden die kritischen Blicke der Lebensmittelkontrolleure vielleicht schon nicht mehr in Märkten und Betrieben umherschweifen. Denn bis 1997 muß eine EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sein, die die Kontrolleure damit konfrontiert, Formulare zu prüfen. Eine Richtlinie mehr in der Flut der Verordnungen, die bald kleine Betriebe und deren Kontrolleure nicht mehr nachvollziehen können.

„HACCP“ heißt die Richtlinie. Das steht für Hazard Analysis and critical control points. Risikoanalyse und kritische Kontrollpunkte. Beides soll in den Betrieben dazu dienen, den gesamten Produktionsprozeß – vom Wareneingang bis zur Verladung des Endprodukts – möglichst transparent zu machen. Die Unternehmen müssen attestieren, daß sie die kritischen Kontrollpunkte auch eingerichtet und die Risikoanalyse durchgeführt haben. Die Lebensmittelkontrolleure attestieren das wiederum den Betrieben.

Die Lebensmittelkontrolle degeneriert zur Kontrolle der Kontrolle. Zum Schaden der Verbraucher, meint der Landesverband der Lebensmittelkontrolleure, der soeben sein zehnjähriges Bestehen gefeiert hat. Gefeiert? Dazu gibt's keinen Grund, meint der Verband selbst von sich. „Wir sind zu schlecht ausgebildet und verdienen zu wenig“, sagt stellvertretend Verbandsvorsitzender Martin Maue. In fast sämtlichen EU-Ländern sei die Lebensmittelüberwachung besser als in Deutschland. Vor 1977 seien sogar „fußkranke Polizisten“ für die Kontrolle vor Ort eingesetzt worden, umreißt Martin Maue die desolate Situation in der Branche. Nach '77 mußten immerhin Hauptschulabschluß und eine Lehre im lebensmittelverarbeitenden Bereich nachgewiesen werden.

Vorschläge, wie sich dieser unbefriedigenden Situation abhelfen läßt, hat der Verband schon vorgelegt. Doch das Konzept, das u.a. eine fundiertere Ausbildung der Kontrolleure vorsieht, wird blockiert.

Die Arbeitsgemeinschaft der leitenden Veterinärbeamten nämlich, die die Politik des Bundesgesundheitsamtes beeinflußt, steht den Forderungen der Kontrolleure skeptisch gegenüber. Und zwar nicht aus sachlichen, sondern aus tarifpolitischen Motiven heraus, wie Kontrolleur Maue unterstellt. Denn besser und länger ausgebildete Kontrolleure hätten auch Anspruch auf bessere Bezahlung. Und bezahlt wird im Augenblick bis maximal Besoldungsstufe A8, mittlerer Dienst.

Hans-Herbert Kornau ist zuständig für Lebensmittelüberwachung beim Gesundheitssenator und Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der leitenden Veterinärbeamten. Auf ihn haben sich die Kontrolleure eingeschossen, weil er in der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft auch gegen die Verbesserungsvorschläge gestimmt habe.

Dabei findet auch Kornau, daß, wer sich Lebensmittelkontrolleur nennen will, besser als bisher ausgebildet werden muß. Doch müssen alle Kontrolleure gleich Abitur haben? Kornau: „Zur Kontrolle eines Tante-Emma-Ladens braucht man schließlich keinen Lebensmitteltechniker!“

Im Bremer Lebensmittelüberwachungs-, Tierschutz- und Veterinärdienst arbeiten neben den elf Kontrolleuren vier Wissenschaftler: zwei Veterinäre, ein Chemiker und ein Hygieniker. Ungleich besser bezahlte Spezialisten seien das, beklagt sich Martin Maue, während er und seine KollegInnen „das gesamte Spektrum vor Ort“ abdecken müßten – bei ungleich niedrigerer Gehaltsstufe.

Daß sich das bald ändert, ist nicht abzusehen. Wo doch der Bund in der Öffentlichkeit den Eindruck vermittele, mit der Lebensmittelkontrolle sei alles „Friede, Freude, Eierkuchen“, so Martin Maue. Weshalb sollte der Staat da seine Kontrolleure qualifizierter ausbilden und – bei der derzeitigen Haushaltslage – besser bezahlen? Maue und seine zehn Bremer KollegInnen werden wohl weiterhin ihre Freizeit opfern müssen, um sich fortzubilden. Damit sie ab '97 in den Betrieben nicht nur Bahnhof verstehen, wenn die Betriebsleiter von „HACCP“ reden.

Alexander Musik