: Arbeit am offenen Herzen
■ Er sollte Jelzins Pumpe flicken: Roland Hetzer, bekanntester Herzchirurg der Stadt
Er hätte teilnehmen können an der großen Herzoperation Boris Jelzins. „Aber ich hätte den Eingriff nur hier in Berlin gemacht, nicht in Moskau. Und das wollten die natürlich nicht.“ Roland Hetzer ist Leiter des größten Herztransplantationszentrums in Deutschland. Täglich operiert er an vier offenen Herzen. Seine Zeit ist kostbar.
Es ist sechs Uhr dreißig. Der 52jährige Herzchirurg ist seit über einer Stunde auf den Beinen. „Jeden Morgen. Immer.“ Ständig wippt er mit den Füßen. Sein massiger Oberkörper wackelt unruhig hin und her.
1983 transplantierte er sein erstes Herz. Damals war er noch Oberarzt an der Universitätsklinik in Hannover. „Hinterher habe ich mich selber gewundert, wie cool ich bei der Sache war. Es gab ein ziemliches Medieninteresse, und der Druck war enorm.“ Nein, Angst habe er nicht gehabt. Und inzwischen sei es Routine. Bei jedem Eingriff am offenen Herzen muß er die menschliche Blutpumpe stillegen. „Der entscheidende Moment ist, wenn das Herz wieder anfängt zu schlagen“, schildert Hetzer. Der Eingriff ist Alltag für den Mann.
Die immense Verantwortung empfinde er nicht als Last, meint der Chirurg. 1987 implantierte er einem vierjährigen Jungen ein Herz. Jährlich werden 100 Herzen im Weddinger Herzzentrum verpflanzt. Und das erfolgreich: Über 70 Prozent der Kinder mit einem neuen Herzen leben länger als zehn Jahre. Bei Erwachsenen liegt die Langzeitüberlebensrate bei über 80 Prozent. Damit liegt Hetzer mit seinem Team weltweit an der Spitze. Aber es gibt zu wenige Spenderherzen. Deshalb werden mehr und mehr Kunstherzen implantiert. Jüngst feierte das Herzzentrum dabei einen Weltrekord: Über zwei Jahre lebte ein Mann mit einer implantierten Herzpumpe, die sein lädiertes Herz schonen sollte. Der Großteil der jährlich über 3.000 Operationen am offenen Herzen sind allerdings keine Transplantationen, sondern Bypass-Eingriffe.
„Ich arbeite immer, auch samstags“, erklärt Hetzer. Er wirkt nervös. Manchmal stockt er im Reden, wahrscheinlich weil er zuviel auf einmal sagen will. Die Frage, ob er nicht befürchte, bei der ständigen Hektik selbst herzkrank zu werden, versucht er abzuwiegeln: „Nein, nein. Das ist ein Argument für Faulpelze. Zuviel Arbeit hat noch nie jemandem geschadet.“
Professor Hetzer hat drei Kinder. Das Jüngste, ein Sohn, ist erst vor fünf Monaten geboren. Er sagt stolz: „Das Geschrei nachts ist Musik in meinen Ohren. Wissen Sie, ich bin es gewohnt, daß ich nachts gestört werde. Jede Nacht ruft mich irgend jemand aus der Klinik an, und fragt mich irgend etwas.“
Das Herzzentrum wurde 1986 eröffnet. Von Beginn an war Professor Hetzer der Leiter. Unter seiner Führung expandierte das Zentrum kontinuierlich. Während andere Kliniken Betten abbauen mußten, stockte das Herzzentrum ständig auf. Inzwischen hat es 162 Betten. Erst 1993 entschied der Senat den Bau eines weiteren Operationssaales (insgesamt gibt es sieben) sowie die Bereitstellung von 70 zusätzlichen Betten für die Nachsorge von frisch operierten Patienten. Der Herzchirurg hat also keinen Grund zu klagen. „Bei mir kann man Karriere machen. Fünf von meinen ehemaligen Oberärzten sind inzwischen Chefärzte in anderen Kliniken.“
Die Arbeitsbedingungen im Herzzentrum gelten als besonders hart. Der Haustarifvertrag sieht eine 40-Stunden-Woche vor. Viele Pflegekräfte aber schieben eine Menge Überstunden vor sich her. Die Gehälter sind besser als in städtischen Krankenhäuern: „Wir bezahlen nach Leistung, nicht nach Alter“, erklärt Hetzer.
„Das einzige, worüber ich mich wirklich aufrege, ist Nachlässigkeit und Schlamperei. Was denken Sie, wie oft ich höre: ,Entschuldigen Sie, ich habe vergessen...‘, oder so etwas. Ja, und? Was ändert's? Ich glaube, diese Einstellung ist der Hauptgrund für unsere wirtschaftliche Misere heute.“ Der Mann ist der berühmteste Arzt Berlins. Aus kleinen Verhältnissen kommend, ist er sich treu geblieben. Tim Köhler
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