■ Nachschlag
: Wozu noch Literaturgeschichte der DDR? Die Werkstatt-Diskussion

„Was heißt und zu welchem Ende studiert man die Geschichte der DDR-Literatur?“ lautete das Thema eines Gesprächs, das die (Ost-)Berliner Literaturwissenschaftlerin Ursula Heukenkamp und der Bremer Germanistikprofessor Wolfgang Emmerich am Samstag in der Literaturwerkstatt Pankow führten. Wer geglaubt hatte, daß sich an einem kalten, nieseligen Novemberabend überhaupt niemand für dieses Thema erwärmen könnte, wurde vor Ort eines Besseren belehrt: Die Reihen waren voll besetzt, und neben dem allgemein interessierten Publikum, neben einigen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern hatte sich auch die schwarze Hauskatze eingefunden, die zielsicher auf meinem Schoß Platz nahm und von hier aus die Diskussion mit abnehmender Aufmerksamkeit verfolgte.

Man stelle sich jedoch kein heiteres Wohnzimmergeplausche vor. Den Anlaß für das Gespräch bildete das Erscheinen von Emmerichs Neuausgabe der DDR-Literaturgeschichte – ein Ereignis, das über die kleine Gemeinde der Wissenschaftler und Literaten hinaus Beachtung fand. Nachdem Emmerich Gelegenheit hatte, etwas über sein biographisches Verhältnis zur Literatur in der DDR und über die Entstehungsgeschichte des Buches zu sagen, setzte Ursula Heukenkamp zu einer kritischen Breitseite an: Hinter den ästhetischen Wertungen, die Emmerich in seiner Literaturgeschichte vornimmt, könne sie kein System erkennen. Abgesehen davon, daß relevante Werke ausgespart blieben, habe sie nach der Lektüre den Gesamteindruck, Literatur werde in der Darstellung von Emmerich einseitig auf die politischen Verhältnisse in der DDR bezogen. Der Bremer Literaturwissenschaftler gibt Lücken auf der Materialebene zu, hält jedoch dagegen, daß ein einzelner die gesamte in vierzig Jahren erschienene Literatur schwerlich überschauen könne.

Aus dem Publikum kam die Frage, warum nicht jene DDR-Literaturwissenschaftler, die über Jahrzehnte an der ideologischen Verklärung gearbeitet hätten, nach 1989 ein solches Projekt angegangen hätten. „Ich hätte es nicht gewagt“, gab Ursula Heukenkamp zu. Bevor man darangehen könne, eine DDR-Literaturgeschichte zu schreiben, müsse man eine Kulturgeschichte der DDR verfassen. Emmerich monierte, auf diese Weise würden noch Jahrzehnte ins Land streichen. Da schon Gäste für die nächste Veranstaltung vor der Tür standen, nahm das Gespräch ein etwas abruptes Ende. Das Publikum klatschte laut Beifall, die Diskutanten lächelten artig, und die Katze schreckte aus dem Schlaf hoch. Peter Walther