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Luxuskreuzer, ausgefegt

Die Berliner Schaubühne leistet sich ein gerüttelt Maß an Jugendlichkeit: Mit einem Projekt nach Goyas „Caprichos“ gab Michael Simon seinen Einstand  ■ Von Petra Kohse

Allabendlich, eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn, werden in der Berliner Schaubühne Theaterbesucher ausgestellt. Eine erleuchtete Schaufensterfront säumt den abgerundeten Mendelsohn-Bau, drinnen sitzen stehend Leute, schweigend ins Gespräch vertieft. Während man in die Volksbühne gerne frühzeitig kommt, um sich in plüschigen Ecken aufzuwärmen, wird man hier zunächst kalt entblößt. Winkel gibt es keine, der Wandelgang ist schmal wie ein Laufsteg, und wer das blitzende Geländer mit schwitzigen Händen anzufassen wagte, würde von den anderen sofort angezeigt. Kein Ort zum Träumen, sondern einer der nervösen Wachsamkeit.

Durchaus passend also, daß Michael Simon seine Inszenierung mit dem Titel „Schlaflos“ im Foyer beginnen läßt, und wenn das Publikum sich später grüppchenweise im Zuschauerraum einfindet, entspannt sich diese Stimmung nicht wie üblich in einem andächtigen Dämmerzustand. Weil sonst nicht viel passiert, der Theaterabend aber schon lange begonnen hat, betrachtet jeder jeden Hereinkommenden ganz genau. Ein Vorgang, der manche der Anwesenden dazu bringt, sich halblaut über „zu hohe Subventionen“ zu ärgern, der aber durchaus etwas mit Goyas „Caprichos“ zu tun hat, von denen angeregt diese Produktion entstand.

Die 80 Radierungen, die Goya in den Jahren nach 1793 herstellte, als er infolge einer schweren Krankheit sein Gehör verlor, zeigen den zuvor eher gefälligen spanischen Hofmaler als gesellschaftskritischen Karikaturisten. Obwohl etliche Hexen, Nachttiere und Tiermenschen die Zeichnungen bevölkern, lassen sich auch die schwer deutbaren, alptraumhaften Motive als Aufklärung ex negativo verstehen. „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ steht auf spanisch auf Tafel Nr. 43, und zu sehen ist lichtscheues Getier, das hinter einem Mann hervorkriecht, der vor Blatt und Feder auf den Tisch gesunken ist.

Der 38jährige Michael Simon gibt mit „Schlaflos“ seinen Einstand als neuer Hausregisseur und Bühnenbildner der Schaubühne. Nachdem er vor zwei Jahren mit seiner Dortmunder „Black Rider“-Inszenierung zum Theatertreffen eingeladen war und dann in rascher Folge von Berlin nach Wien und München weitergereicht wurde, hat er sich jetzt für drei Jahre gebunden und will in Berlin nicht nur für einen ästhetischen Kontrapunkt zum Breth-Theater sorgen, sondern auch für ein gerüttelt Maß an Jugendlichkeit.

Mit einem ostentativ fröhlichen Pop-Äußeren, mit blondierten Harren und neonfarbener Streetwear, ist Simon also angereist, um zu bleiben und dem angestammten Schaubühnenpublikum sein effektbewußtes Bilder-Maschinen- Musiktheater zuzumuten. Eine Zumutung ist es tatsächlich, denn anders als Robert Wilson und Klaus Michael Grüber, auf deren legendäre Arbeit an der Schaubühne Simon im Programmheft gleichwohl verweist, ist es seinen Bildern nicht um Rausch zu tun, sondern um Ernüchterung.

Eine solche beginnt natürlich mit einem Schock. Aus der hintersten Ecke des Wandelganges erschallt plötzlich die Parodie eines Rockkonzertes. Man muß zusammenkommen und sich sogar dicht aneinanderdrängen, um Thomas Thieme am Schlagzeug und mit E-Gitarrenbegleitung gekonnt gefühllos Stones-Lieder grölen zu sehen. Das ist ziemlich komisch, und bald wird einen Stock tiefer der Bauch des Tempels geöffnet.

Ganz langsam nur kann sich das Publikum in den schmalen Gang fädeln, der durch die Eingeweide der Unterbühne führt. Während sich bei einer ähnlichen Theaterreise, die Christoph Marthaler einmal in der Volksbühne unternahm, überall Geschichtliches und Skurriles offenbarte, begnügt sich Simon mit Nebel, einer stampfend- glucksenden Klangwolke und sparsam deklamierenden Darstellern. Der Schaubühnenbau, zeigt sich, birgt nicht die kleinste verstaubte Peter-Stein-Statue, sondern hier unten ist es genauso sauber wie oben im Foyer.

Danach muß man auf die Straße treten und darf wieder ins Warme, wird ohne Verirrungsgefahr durch ein Labyrinth von Stellwänden geschleust, ein Besucher murmelt „Sinnlos!“, und dann beginnt der Einmarsch des Publikums in den Saal, der von zwei Darstellerinnen flankiert wird. Als lebende Puppen spielt die eine mit gezierten Bewegungen Königin Isabella und beteuert, daß sie den Teufel zum Friedensminister macht, die andere übt Pin-up-Posen, sagt manches über Goya und immer wieder „Respekt“. Bettina Erasmy hat den collagenhaften Text zum Stück verfaßt, später geht es — nach Wittgenstein — um Farbenlehre, ein Schauspieler in Goya- Maske sagt immer wieder „Ich bin doch eigentlich hellhörig“, und eine Tänzerin mit nacktem, bemaltem Oberkörper erklärt vor geschlossenem Vorhang: „Das ist kein Bild. Es gibt nichts zu sehen.“

Was natürlich nicht stimmt. Denn im letzten Teil der eineinhalbstündigen Aufführung öffnet sich der Vorhang, und diese „Opera für 8 Darsteller“ beginnt, sich auch sinnlich einzulösen: als Wechselgesang mit Schlagzeug, elektronischem Wispern, mit dem Blinken der Neonleuchten, der riesigen Detailprojektion eines menschlichen Gesichts und der Quadratmeter für Quadratmeter in Bewegung geratenden Bühne.

Die Darsteller staksen und tanzen, winden sich emsig in ihrem je eigenen Wahn auf dem Boden und werfen sich zielstrebig an die dröhnenden Metalljalousien, die den nackten Bühnenraum begrenzen. Dann singt Thomas Thieme den Schlager „Cinderella Baby“, eine Frau im hispanisierend strengen Kleid zieht sich aus, verrenkt sich immer wütender in witzigen Posen und wirft sich am Ende das eigene Haar als Schal um den Hals.

Konzepttheater. Eine kleine Exkursion in den Bereich des Anything goes, und was für ein Haus wie die Volksbühne viel zu dürftig wäre, fegt hier mit rhythmischer Dreistigkeit die Literatur von der Bühne. Michael Simon scheint in den Luxuskreuzer am Lehniner Platz gut zu passen. Wer nach der Premiere auf dem Kurfürstendamm ein paar Meter weiterlief, konnte in der Auslage einer „Bauhaus“-Filiale jedenfalls den Satz lesen: „Auch ein kleiner Traum kann durch einen schönen Rahmen an Größe gewinnen.“

„Schlaflos. Träume des Francisco José de Goya y Lucientes“. Text: Bettina Erasmy. Regie und Raum: Michael Simon. Mit: Cornelius Obonya, Rainer Philippi, Swetlana Schönfeld, Thomas Thieme u.a. Schaubühne, Berlin.

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