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■ Nebensachen aus WashingtonNeue Männer hat das Land

Meine Freundin Clarice ist gleich so gerührt, daß sie versehentlich Kaffee in die Müsli- Schüssel gießt. „Ein Mann zum Küssen“ ruft sie, und legt die Zeitung zärtlich zur Seite. „Unser Lieblingsminister hat gekündigt.“ „Das ist doch nicht zum Jubeln“, sage ich. „Doch. Er tut's für seine Frau und seine Kinder.“

Robert Reich, zuständig für das Ressort Arbeit, hat gekündigt, um wieder zur Familie nach Boston zu ziehen und sich Frau (Jura-Professorin) und Söhnen (Teenager) zu widmen. Dies begründete er rührend in der New York Times: Ein stressiger Job und die Rolle des Ehemanns und Familienvaters seien eben nicht unter einen Hut zu bringen, wenn man das eine so liebt wie das andere. Über den Dächern von New York und Washington hörte man bei der Lektüre des Artikels einen kollektiven Seufzer all jener alleinerziehenden Mütter, die beides unter einen Hut bringen müssen: „Mein Gott, kann man solche Männer nicht klonen...“

Robert Reich, auch der „kleine Bob“ genannt, war unser Lieblingsminister, weil er in Washington vier Jahre lang die unpopuläre Ansicht vertreten hatte, daß die Regierung tatsächlich etwas zum Schutz der Arbeitnehmer tun sollte. Außerdem entkräftete er dank einer Körpergröße von etwa 1,50 Meter das Mißtrauen seiner Landsleute gegen „big government“.

Uns quälte nun natürlich die Frage: Kann frau sich als Emanze/Feministin/Bewegte über die lang ersehnte Ankunft der „neuen Männer“ noch freuen, wenn die gleichzeitig die letzten linken oder wenigstens halblinken Stellungen in der Politik nicht mehr halten können? Wenn die verehrte Leserschaft jetzt völlig zu Recht fragt, wo denn die Frauen bleiben, so können auch Clarice und ich nur mit den Schultern zucken.

Hillary Clinton entpuppt sich zunehmend als Gouvernante der amerikanischen Familie. Die Auszeichnung für die radikalste Kongreßabgeordnete geht nicht etwa an eine Progressive, sondern an Helen Chenoweth aus Idaho, die ihre Wahlkämpfe mit Unterstützung rechtsradikaler Bürgermilizen gewinnt und „den weißen Mann auf die Liste der gefährdeten Spezies“ setzen will. Und die aussichtsreichste Präsidentschaftskandidatin heißt Elisabeth Dole.

„Shit happens“, knurrt Clarice, nachdem sie sich, wiederum versehentlich, den ersten Löffel mit Kaffee-durchtränkten Corn Flakes zugeführt hat. Was – frei übersetzt – heißt, daß Frauen eben doch nicht zwangsläufig die besseren Menschen sind. Ein paar Tage später war zu lesen, daß auch Bill Clintons Beraterin Laura D'Andrea Tyson, ihren Posten räumt, um zu Mann und Sohn zu ziehen. Die Meldung war kaum einen Absatz lang und löste weder kollektive Seufzer noch abendliche Debatten am Kneipentisch aus. Wen sollte so ein Schritt von einer Frau schon überraschen? Andrea Böhm

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