■ Nachschlag: Adriana Altaras inszenierte "Was gibt's Neues vom Krieg?"
Léa liebt Charles. Und auch Charles findet Léa attraktiv, aber er wehrt ab: „Ich bin kein Mann für die Zukunft. Ich lebe in der Gegenwart, weil sie mir erlaubt, mich zu erinnern, und wenn ich mich nicht erinnere, wer sollte sich erinnern?“ Und so sitzt Charles abends allein am Fenster seines dauerhaft gemieteten Hotelzimmers und blickt in die Wohnung gegenüber – in seine eigene Wohnung, die er einst mit Frau und Kindern bewohnte, und die jetzt leer ist. Léa und Charles sind Figuren aus Robert Bobers Roman „Was gibt's Neues vom Krieg?“, der 1995 auf deutsch erschien (Übersetzung: Tobias Scheffel). Es ist der erste Roman des heute 65jährigen Dokumentarfilmers. Die Handlung spielt 1945/46 in einer jüdischen Schneiderei in Paris. Es geht um das alltägliche Nachkriegsleben, die Arbeit und die Beziehungen der Mitarbeiter untereinander. Doch dieser Alltag ist nur die Oberfläche der Erinnerung. Sie äußert sich in heiteren oder traurigen Geschichten, die alle irgendwann abbrechen, weil es hinter den Schienen nach Auschwitz nicht weitergeht.
Gemeinsam mit Rüdiger Bering hat die Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras jetzt eine Spielfassung von Bobers Roman erstellt und sie im Rahmen der Jüdischen Kulturtage mit dem Theater zum Westlichen Stadthirschen inszeniert – in der Probebühne des Berliner Ensembles. In 40er-Jahre-Kostümen treten die Schauspieler auf, lehnen sich an einen Schneidertisch und äugen neugierig ins Publikum. Dann verfliegt die Fröhlichkeit, und Maurice beginnt zu erzählen. Er heiße Abramowicz, sei ein ehemaliger Deportierter und werde von seinen Kollegen „Abramauschwitz“ genannt. Dirk- Richard Heidinger spricht euphorisch, aber das eselhaft japsende Lachen entlarvt die Heiterkeit ganz schnell.
„Was gibt's Neues vom Krieg?“ ist auch in der Spielfassung kein dramatischer Text, sondern ein Netz fragmentarischer Erinnerungen. Altaras setzt das in einem vorzeigenden Realismus um: Die Darsteller entwickeln die Figuren zwar psychologisch, wenden sich aber stets an das Publikum. Sie bleiben in ihren Rollen, beobachten sich aber gleichzeitig, indem sie die Stimmung kippen lassen oder ihren eigenen Worten nachlauschen. Eine Erzählweise der vorsätzlichen Melancholie, die sich nur an den Rändern spielerisch auflöst, wenn Schauspieler die Szenen der anderen witzig kommentieren, darüber lachen oder geschilderte Personen mimen. Dann treten Bobers Geschichten tatsächlich zwischen den Buchdeckeln hervor, und das Premierenpublikum feierte die charmante Ensembleführung begeistert. Den Applaus wie auch die überreichten Blumen teilte die Regisseurin mit dem anwesenden Autor Bober. Petra Kohse
Bis 24.11., 27.11.–1.12. und 5./6.12., Theater zum Westlichen Stadthirschen in der Probebühne des BE, Bertolt-Brecht-Platz, Mitte
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