■ Protokoll einer Redaktionssitzung beim „Stern“
: Für ein paar Schwänze mehr

Es ging wieder einmal zu wie auf der Börse. In der Themenkonferenz des Stern überboten sich die Redakteure mit ihren Vorschlägen: „Zaire! Wir haben Zaire! Leichentreiben im Kuwu-See!“ – „Katastrophale Zahlen zum Milliardenloch im Bonner Haushalt!“ – „Steffi hat einen neuen Steuerberater!“ Der Chefredakteur Dr. Werner Funk blieb ungerührt. Stumm saß er da, verzog keine Miene. Die Eingeweihten wußten, daß er dann im Kopf an einem seiner legendären Editorials schrieb („... haben wir hier in der Redaktion lange gerungen, ob wir Ihnen dieser Bilder zeigen dürfen, ja müssen...“).

Die Ressortleiterin Modernes Leben wußte sich in solchen Fällen zu helfen. „Hillu kehrt zu Gerda zurück“, war ihr erster Versuch, aber der ging voll daneben. „Die Pille der ewigen Jugend entdeckt“ – wieder nichts, und dann, provozierend: „Helmut Newton hat Nadja Auermann einen Kopf kürzer gemacht!“ Es wirkte! Ein Zittern überlief den Chefredakteur, als er zu reden begann, aber dann platzte eine Bombe: „Wir müssen über den Penis sprechen.“

Wenn Dr. Funk erwartet haben sollte, daß ihm die Redaktion wie sonst eifrig murmelnd zustimmte – „Genau, war längst überfällig! Das Thema muß endlich auf den Tisch. Kein-langes-um-den-heißen-Brei- Herumreden-mehr!“ –, sah er sich getäuscht. Diesmal prallte Dr. Funk gegen eine Mauer des Schweigens. Aber er blieb hart. „Ich möchte, daß wir uns mit dem Penis befassen. Wir dürfen nicht länger die Augen davor verschließen. Reden wir darüber.“

Und um zu zeigen, daß er bei diesem wunden Punkt keine Tabus kannte, ging der Chefredakteur mit gutem Beispiel voran: „Ab und zu ist mein Penis zickig. Aber sonst komme ich gut mit ihm klar.“

Wieder Schweigen, betretene Gesichter, Atemnot im Konferenzsaal.

Nicht wenige Redakteure hatten den Blick in den Schoß gesenkt. „Immerhin“, dachte Dr. Funk bei sich. Er wollte schon mit einer weiteren Vorgabe kommen, als sich fingerschnippend der Volontär von der Henri-Nannen- Schule meldete: „Früher haben wir unsere Schwänze vermessen und geschaut, wer den größten der Klasse hat.“ Der Chefredakteur strahlte. „Na, sehen Sie, es geht doch, nur keine Hemmungen. Als ein der Aufklärung verpflichtetes Blatt dürfen wir uns nicht auch noch selber Denkverbote auferlegen. Was hat das Auslandsressort beizutragen?“ Einer von den Korrespondenten raffte sich auf: „Manchmal“, begann er mit trockener Kehle, „manchmal ist er dickköpfig und möchte klein bleiben.“ Nach diesem vorsichtigen Coming-out kamen endlich ein paar Wortmeldungen. „Die Leidenschaft der Frau bestimmt, was der Penis leistet“, hatte einer aus der Auto-Redaktion läuten hören, und ein Kulturredakteur schwoll zu geradezu staatsmännischem Format: „Sich im Bett Mühe zu geben ist viel wichtiger als die Größe.“

Der Chefredakteur stöhnte. „Sie immer mit Ihrer politischen Oberkorrektheit! Mit dieser linksintellektuellen Zögerlichkeit können Sie den Stern gleich Hubert Burda schenken. Der Penis mag ja anrüchig sein und ein Stiefkind der Forschung, aber wir müssen an den Leser denken, gerade den weiblichen. Ich sage Ihnen eines: Wir gehen mit dem Penis auf den Titel.“

Schweigen, Dämmern, Staunen. „Noch Fragen, meine Herren?“. Es war einer von den Bonnern, der eben aufgewacht war: „Was gibt's eigentlich heute in der Kantine?“

Für die Richtigkeit: gez. Willi Winkler

(Die kursiv gesetzten Stellen stammen aus dem „Stern“ 47/1996. Im neutralen Umschlag an einem Kiosk Ihres Vertrauens.)