Staatschef im Schleudersitz

■ Weißrußlands Präsident Lukaschenko will mehr Macht - per Referendum. Das Parlament will ihn jetzt loswerden

Berlin (taz) – Für den weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko wird es jetzt eng. In der Nacht von Montag zu Dienstag votierten 75 von 199 Abgeordneten des Parlaments für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Lukaschenko. Dies ist der vorläufige Höhepunkt eines bereits seit Monaten schwelenden Streits zwischen Präsident und Parlament.

Grund dafür ist eine Volksabstimmung am kommenden Sonntag. Per Referendum will sich der autoritäre Staatschef, der sein Land mit Erfolg in Grund und Boden wirtschaftete, Demonstranten zusammenschlagen und Kritiker einsperren läßt, unbeschränkte Machtbefugnisse sichern. So soll die Amtszeit des Präsidenten künftig sieben Jahre betragen. Außerdem will Lukaschenko das Parlament auflösen sowie einige Mitglieder des Verfassungsgerichts, des Parlaments und der Wahlkommission ernennen dürfen. Gleichzeitig steht ein Gegenentwurf des Parlaments zur Abstimmung, der die Abschaffung des Präsidentenamtes vorsieht.

In der vergangenen Woche übte sich der Präsident mal wieder in Demokratie. Am Donnerstag stellte Lukaschenko den Chef der Wahlkommission, Wiktor Gontschar, kalt. Der hatte angekündigt, das Referendum für nicht rechtskräftig zu erklären. Bereits seit dem 9. November sind die Wahllokale geöffnet, für jene, die am Wahltag verhindert sind. Und die Leute stimmen ab, so der Wahlkommissionschef, ohne den Verfassungsentwurf gesehen zu haben.

Als Gontschar am nächsten Tag an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wollte, wurde er von Sicherheitskräften aus seinem Büro geprügelt. Den Spruch des Verfassungsgerichts, der die Absetzung Gontschars für verfassungswidrig erklärte, da das Sache des Parlaments sei, ignorierte der Präsident, wie schon so oft zuvor. Auch am vergangenen Sonntag waren Lukaschenkos Schergen wieder pünktlich zur Stelle. Bei einer Massendemonstration gegen die Einschränkung der Pressefreiheit und die diktatorische Politik des Staatspräsidenten im Zentrum von Minsk wurden einige Teilnehmer kurzerhand krankenhausreif geschlagen.

Anfang der Woche lichteten sich auch die Reihen der Regierung. Nachdem bereits der stellvertretende Außenminister, Andrej Sannikow, zurückgetreten war, warfen am Montag auch noch Regierungschef Michail Tschigir und Arbeitsminister Alexander Sosnow aus Protest gegen Lukaschenko das Handtuch. Ein Regierungschef sei entbehrlicher als eine Melkerin, kommentierte Lukaschenko den Abgang Tschigirs und kündigte „schärfste Vergeltungsmaßnahmen“ gegen das Parlament an.

Doch das holt vielleicht noch vor dem Stichtag am kommenden Wochenende zum ultimativen Schlag gegen den Diktator aus. Noch am Freitag hatte Parlamentspräsident Semon Scharetzki, der schon seit Monaten vor einer Diktatur warnt, Lukaschenko aufgefordert, auf das Referendum zu verzichten. Seit ein paar Tagen nun halten sich mehrere Abgeordnete aus Angst vor gewaltsamen Aktionen gegen das Parlament selbst nachts im Gebäude des Obersten Sowjets auf. Polizei und Sicherheitskräfte hatten zuvor das Gelände abgesperrt.

Sollte auch das Verfassungsgericht dem Verfahren der Amtsenthebung zustimmen und bei der entscheidenden Abstimmung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten dafür stimmen, wäre Lukaschenko formal abgesetzt. Noch zögern die Abgeordneten – nur Lukaschenko, sich seines Sieges sicher, zögert nicht. Er will den Parlamentspräsidenten samt Stellvertreter absetzen und das Verfassungsgericht auflösen, sollte das Referendum Erfolg haben.

Eine Möglichkeit, die Wiktor Berchtjew, Redakteur der noch unabhängigen Tageszeitung Beloruskij Pynok, durchaus für real hält. Schließlich würden die Menschen den ganzen Tag mit der Propaganda für Lukaschenkos Projekt berieselt, da fast alle Medien in der Hand des Präsidenten seien. Genauso wie die Wahlkommission. „Und was das für die Ergebnisse des Referendums bedeutet, ist doch klar.“ Barbara Oertel