Separatismus vor der Haustür

■ Unmut in den Kolonien: Blumenthal will sich aus den Klauen Bremens befreien und nach Niedersachsen eingemeinden lassen

n der Disziplin Separatismus vor der Haustür hat sich jetzt der Ortsteil Bremen-Blumenthal einen Namen gemacht. Ein Beiratsbeschluß des dortigen Ortsamtes – mit nur zwei Gegenstimmen gefaßt – sieht vor, Blumenthal aus der Stadtgemeinde Bremen auszugliedern und in Niedersachsen einzugemeinden. „Der Hilferuf war notwendig“, sagt Beiratsmitglied Margitta Schmidtke (SPD), „wir sind verzweifelt“. Und: „Wenn irgendwo der Rotstift angesetzt wird, dann garantiert in Blumenthal.“ Die Jugendbibliothek und den Vulkan habe man dem Ortsteil mit seinen 34.000 EinwohnerInnen schon genommen, jetzt steht die Stadtteilbibliothek vor der Schließung, und damit die Wassertemperatur im (beheizbaren) Freibad (Einzelkarte vier Mark) überhaupt noch gehalten werden kann, sind private GönnerInnen nötig: Ein Hinweisschild im Rathaus fordert zum Kauf des Blumenthal-Kalenders '97 auf, ein Obolus von zwei Mark geht an das Kuratorium „Freibad Blumenthal“. Außerdem gebe es, so Schmidtke, zu wenig Lehrer, dafür aber zu viele Drogenabhängige und Arbeitslose.

Satirisch formuliert, wendet sich der Antrag an den Bremer Senat und die Bürgerschaft, um „zu erfahren, ob mit einer Ausgliederung Blumenthals die Stadtgemeinde finanziell noch mehr als bisher entlastet werden könne“. Außerdem „bittet der Beirat den Senat, die Bürgerschaft, die Deputationen sowie die zuständigen Behörden von bevorstehenden Investitionen im Stadtteil abzusehen“.

Im Bremer Senat verbucht man den Antrag „in der Rubrik Narretei“, so der stellvertretende Senatspressesprecher Thomas Diehl, „auch wenn der 11.11. schon ein paar Tage vorüber ist“. Im Senat vertrete man die These, Blumen-thal schwäche sich selbst, wenn es aus Bremen ausscheren und zu einer „niedersächsischen Randgemeinde“ werden wolle, über deren Finanzausstattung sich der Beirat einmal informieren solle. „Blu-menthal profitiert von der Stellung Bremens als Oberzentrum“, so Diehl. Davon abgesehen sei das Ansinnen des Beirats verfassungsrechtlich undenkbar.

Ortstermin im Herzen der separatistischen Hochburg: Der Busverkehr von Vegesack funktioniert noch reibungslos, Landluft empfängt die Besucher aus Bremen, doch tatsächlich hängen die schweren Ausdünstungen aus der ansässigen Bremer Wollkämmerei in der Luft. Aufgeräumt präsentieren sich Hauptstraße und Fußgängerzone, zwei Hotels („Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen 6,50 Mark“), und 70 Vereine sind hier angesiedelt. Plakate laden zur Eisenbahnausstellung in der Schützenhalle im Blumenthaler Ortsteil Farge (Betonstraße). Die Stadtteilbibliothek steht unter Denkmalschutz, die Fenster sind übersät mit in Kinderhandschrift formulierten Schließungsprotesten.

Im kulturellen Aushängeschild Blumenthals, dem Haus Blomendal, einer ehemaligen Ritterburg von 1354, klagt allerdings eine Wahl-Blumenthalerin über das desolate Image, das die menschlichen Ansiedlungen oberhalb der Lesum in Bremen-City genießen. „Meine Freunde haben nur abgewunken, als ich ihnen gesagt habe, daß ich hierhin ziehe.“ Hat sich eines der Vorurteile gegenüber Bremen-Nord bestätigt? „Keines.“

Trotzdem: Die große Zeit Blumenthals ist vorbei, nachzulesen nicht zuletzt in dem wegweisenden Band von Günter Meyer und Ulf Fiedler „Die Sparkasse und die Ortschaft Blumenthal – 125 Jahre Partnerschaft“. Denn Blumenthal war mal kreisfreie Stadt und wurde erst 1939 im Zuge einer Gebietsreform Bremen schnöde eingemeindet.

Reminiszenzen aus der Zeit davor sind jetzt noch mal im Büro des Ortsamtsleiters Blumenthals, Erik Petersen, wachgeworden. Bei ihm gingen Gespräche aufgebrachter BlumenthalerInnen ein, wonach der provokante Beiratsbeschluß „noch nicht scharf genug“ war und jedenfalls „mehr als Satire“.

„Der Unmut im Beirat wird in der Bevölkerung geteilt“, ist sich Beirätin Margitta Schmidtke sicher, die sich gewünscht hätte, den satirisch angelegten Beirats-Beschluß nicht Antrag, sondern Resolution zu nennen – der Ernsthaftigkeit halber. Doch bei aller gebotenen Kritik am Senat und dessen Sparpolitik („Wenn die Stadtteilbibliothek geschlossen wird, müssen die Kinder unter Umständen 12-13 Kilometer bis zur nächsten Bibliothek fahren“) muß Ortsamtsleiter Petersen doch mal ein paar Dinge am Beiratsbeschluß geraderücken: Die Stadtgemeinde beteilige sich immer noch mit 110.000 Mark an der Unterhaltung des Freibades, und auch das aufwendig restaurierte Haus Blomendal werde von der Stiftung Wohnliche Stadt unterstützt. Petersen: „Das ist ein Frustpapier, das aus dem Bauch gekommen ist.“ Alexander Musik