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"Alles ist reversibel"

■ Wenn er mit dem Tonband arbeitet, ist Heiner Goebbels nie hundertprozentig zufrieden: Der Komponist und Musiker über die Ästhetik des Hörspiels im Zeitalter seiner digitalen Bearbeitung. Ein Gespräch anläßlich der B

Einmal jährlich treffen sich in Berlin AutorInnen, RedakteurInnen und RegisseurInnen, um über Entwicklungen im Hörspiel zu diskutieren. Schwerpunkte der vom Literarischen Colloquium und der Neuen Gesellschaft für Literatur finanzierten Fachtagung sind in diesem Jahr die Frage nach dem Einfluß neuer Technologien auf die Hörspielästhetik und das Verhältnis von AutorInnen und Rundfunkanstalten.

taz: Sie haben in den siebziger Jahren das Sogenannte Linksradikale Blasorchester gegründet, mittlerweile erstellen Sie Hörstücke an der digitalen Work-Station. Wie hat die neue Technologie Ihre Ästhetik beeinflußt?

Heiner Goebbels: Eigentlich gar nicht so stark. Im Grunde hat mir die digitale Technologie nur auf eine bessere Weise möglich gemacht, woran ich auch vorher schon gearbeitet habe. Interessant ist der digitale Zugriff deshalb, weil er ein ganz anderes Maß an Präzision und Schnelligkeit beinhaltet. Die Art und Weise, mit musikalischem Material, mit Zitaten aus der Musik zu arbeiten, gab es aber schon vor dem Sampler.

Eines meiner Hauptthemen ist die Verzahnung von Musik und Text. Das ist, wenn man es live tut, nur mit einem unglaublichen Aufwand von Proben möglich. Auch wenn man mit Tonband arbeitet, bleibt es ein Glücksspiel – kriegt man den Satz jetzt da noch unter, bevor die nächste Posaune dazwischenkommt? –, und man ist nie hundertprozentig zufrieden. Im Hard-Disk-Recording kann ich diesen Prozeß sehr präzise machen. Das heißt: Was früher eine weiche Blende war, um die Musik unter einen Text zu legen oder drüberzuschieben, das kann man jetzt in Sekundenbruchteilen dynamisch sehr radikal fahren und kann das testen und korrigieren, und alles ist reversibel.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Philosophen der Postmoderne und der technologischen Basis, die das „Anything Goes“ auch tatsächlich realisierbar machen?

Natürlich. Wobei ich mich weniger an dem „Anything Goes“ orientiere als an der Chance, mit akustischen Zitaten und musikalischer Geschichte zu sprechen. Ich glaube, daß man nicht mehr neue Musik, neue Klänge erfinden kann, sondern daß man lernen muß, mit den verfügbaren Materialien zu sprechen. Das hat mit dem Zeichen- und Sprachcharakter zu tun, den Musik inzwischen bekommen hat. Diese Intertextualität der Musik ist mit den neuen Medien strukturierbar geworden. Man lernt, mit Musik zu erzählen. Darin reflektiert sich auch die philosophische Perspektive auf die Postmoderne. Aber ich glaube nicht, daß es notgedrungen eine regressive Tendenz ist, sondern daß darin eine ungeheure Chance liegt.

Hat sich der Begriff des akustischen Materials verändert, seit Klänge sich als rechnerische Einheiten darstellen lassen, die gleichermaßen Stimme, Musik, Geräusche abdecken?

Ich würde es so formulieren: Man muß nicht mehr sagen „das Wort ist das Wichtigste oder die Musik“. Auch Geräusche werden musikalisierbar. Darin liegt eine große Chance der Enthierarchisierung. Das ist auch mein Thema in der Arbeit fürs Musiktheater. Ich versuche, die Mittel in eine schwebende Balance zu bekommen, so daß sich der Hörer nicht darauf verlassen kann, ob das Wort der Bedeutungsträger ist oder das Geräusch. Und das hat tatsächlich damit zu tun, daß die digitale Verfügbarkeit darüber identisch ist.

Sind denn Ausbrüche aus vielleicht hermetischen Gattungsvorstellungen durch die neue Technologie leichter möglich? Bietet die Digitaltechnologie eine Chance, die Künste zu vernetzen?

Ich glaube, daß neue Technologie nur ein Reflex ist auf konzeptionellere Tendenzen, auch auf philosophische, eher, als daß sie sie selbst produziert. Es gab ja auch vorher schon Arbeitsweisen, die Genregrenzen verletzten. Die Technologie macht das alles jetzt nur einfacher möglich, und deshalb wurde sie auch erfunden, weil sozusagen der gesellschaftliche Bedarf dafür da war. Aber dieses Bedürfnis erwächst aus der Zeit eher als aus dem Material.

Wird es eine Erneuerung des Hörspiels im Computerzeitalter geben?

Ich glaube, daß der Prozentsatz, wo sich das wirklich ästhetisch ausdrückt, sehr gering ist. Wenn wir über Popmusik sprechen, könnten wir eine ganz andere Diskussion führen, weil da die Digitalisierung zu einer ganz anderen Art von Musik geführt hat, die ich als sehr zeitgemäß empfinde. Gerade in der Null-Eins-Mentalität besteht die Chance, daß man über ganz andere Brüche und Breaks die Musik in hohem Maße aufregend machen kann, ohne immer schon die als nächstes kommenden Teile musikalisch vorzubereiten. Man klickt Spuren an und macht sie wieder zu, und die Sachen können sehr stufenförmig entwickelt werden. Das führt dazu, daß beispielsweise im HipHop oder einer bestimmten Form von Discomusik, Dancefloor, die Sachen eine größere Härte bekommen. Solche Sachen sind natürlich überhaupt erst denkbar im digitalen Zeitalter. Beim Hörstück, da wird es noch 30 Jahre dauern, bis man das hört.

Wie hat sich denn die Position als frei produzierender Autor/Regisseur gegenüber den öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten verändert, seit die Produktionsmittel in eigenen Händen liegen?

Die größere Nähe zum Produktionsinstrument ist sehr angenehm für den Komponisten oder Regisseur, weil man die Zwischenschritte zum Toningenieur oder zum Cutter überspringen und viel schneller Dinge ausprobieren kann.

Wofür brauchen Sie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten noch?

Ich brauche sie für die Aufträge und für die Abmischung. Das kann man allein gar nicht finanzieren.

Wenn Sie sich die Hörspielszene anschauen, welche ästhetischen Wünsche bleiben für Sie offen?

Ich muß leider sagen, daß ich vieles, gerade auch von den neuen Hörspielen, die sich dieser Technologie bedienen, extrem oberflächlich finde. Es gibt wenig Perspektiven, daß die Musikalisierung des Hörspiels auf einem inhaltlich qualitativen Niveau fortschreitet. Ich glaube, daß der Mainstream des Hörspiels, eine bestimmte Form des vor dem Mikrofon inszenierten Theaters, genauso erneuerungsbedürftig ist wie das Theater selbst. Man muß nur die Anregungen, die aus der Musik kommen, in einem strukturellen Sinne verstehen. Musik wird heute vielleicht im Hörspiel durch den digitalen Zugriff schneller hinzugenommen, aber nicht mit mehr Verstand. Den ersetzt der Computer nicht. Interview: Jochen Racks

Hörspieltage, bis 23.11.; Woche des Hörspiels bis 24.11. Täglich 20 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10

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