"Besetzungen müssen zum Ende kommen"

■ Interview mit Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) über Hausbesetzungen, Verwaltungsreform und die Berliner Republik

Seit Januar führt Jörg Schönbohm ein straffes Regiment als Innensenator. Moderate Worte und hartes Durchgreifen gehören bei ihm zusammen. Vor kurzem präsentierte er in Bonn seine Vorstellungen von der Zukunft Berlins als Hauptstadt im Dienste der Republik.

taz: Verstehen Sie sich als Statthalter der Bundesregierung?

Jörg Schönbohm: Nein. Aber ich sehe meine Rolle als Innensenator darin, der Stadt klarzumachen, daß Berlin eine Aufgabe hat, die über die Verantwortung für sich selbst hinausgeht. Im Rahmen des Wiederherausbildens unserer Nation kann Berlin beispielgebend sein beim Prozeß der inneren Einheit der Stadt. Außerdem können wir einer Nation, die sich selbst sucht, als Hauptstadt Halt geben, indem wir die Spannungen, Bruchzonen und Gemeinsamkeiten, die in unserem Volk vorhanden sind, auch in Berlin widerspiegeln.

Wie sieht das aus: Berlin in einem Deutschland ohne nationale Selbstzweifel?

In der Berliner Republik müssen wir außenpolitisch aufgrund unserer Lage im Zentrum Europas handlungsfähiger sein, als wir es zu Zeiten der Teilung waren. Nach der Einheit müssen wir uns als Nation über uns selber klar werden. Der Regierungsumzug nach Berlin macht deutlich, daß wir jetzt selbständig entscheiden, welchen Weg wir gehen. Wir tun dies im Rahmen der europäischen Union und der Nato und der Vereinten Nationen.

Wie soll sich diese Rolle in der Berliner Republik ausprägen?

Zur Zeit prägt sich noch nichts richtig aus. Wir haben noch keine gemeinsame Identität und noch keine Elite, die West- und Ost- Berlin gleichermaßen umfaßt. Von daher ist Berlin eine Hauptstadt im Werden. Deswegen geht es nicht nur um die Frage der Kieze, der Verkehrsführung und der Sicherheit, sondern darum, wie Berlin die vielfachen Unterschiede Deutschlands widerspiegelt. Und weil wir einen starken Förderalismus haben, braucht Deutschland eine starke Hauptstadt.

Hauptstadt als einzige Rolle?

Früher war Berlin der Vorposten der Freiheit. Jetzt ist Berlin ein ganz normaler Wettbewerber mit Hamburg im Bereich der Medien und mit Köln und Frankfurt in der Frage des Finanzplatzes sowie mit Frankfurt und Hannover um die großen Messen. Außerdem steht Berlin in Konkurrenz mit Warschau, Prag, Wien und Budapest bei der Frage, von wo aus die osteuropäischen Wirtschaftsräume entwickelt werden. Wenn die EU und die Nato erweitert werden, dann liegt Berlin auch im Zentrum der Europäischen Union. Über diese ungeheuren Chancen müssen wir reden und dürfen uns nicht auf das Nachrechnen von Mark und Pfennigen begrenzen.

Sie haben die Solidarität des Bundes angemahnt. Muß mehr Unterstützung aus Bonn kommen?

Für Berlin ist das Zurückfahren der Bundeshilfe zu schnell gekommen, weil die Aufgaben für die innere Einheit und den sozialen Frieden der Stadt Berlin bis an die Grenzen der Überforderung geführt haben.

Wenn man Berlin ausrichtet auf die Hauptstadtrolle, verlängert man die Berliner Wehleidigkeit und Anspruchshaltung.

Wir haben keine Alternative: Die Bundesregierung kommt, und bis dahin müssen bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist aber nicht nur eine Frage der Effizienz und der Architektur, sondern auch des geistigen Humus in dieser Stadt. Wir müssen die Diskussion fortsetzen, wie wir richtig sparen und aus eigener Kraft zukunftsfähig werden. Wir dürfen nicht sagen, die Hauptstadt kommt und dann werden wir uns schon irgendwie durchmogeln. Es gibt zwar auch im Senat manchmal Hoffnungen, der Bund könne hier oder da mal etwas mehr machen, aber da bin ich sehr skeptisch – auch angesichts der finanziellen Lage des Bundes.

Die skizzierte Hauptstadtrolle setzt Ruhe in der Stadt voraus. Ihr Feldzug gegen besetzte Häuser läuft dem entgegen.

Wir haben in Berlin siebzig Häuser, die legalisiert wurden. Diese Vereinbarungen zwischen Besitzern und Besetzern sind durchaus in Ordnung. Wir können aber keine rechtsfreien Räume in der Stadt dulden. In der Kreutzigerstraße 21 hat beispielsweise die Besitzerin gesagt, die Verhandlungen sind beendet, es gibt keine Lösung – deswegen haben wir geräumt auf der Basis der rechtlichen Voraussetzungen und der Anschlußnutzung. In den beiden anderen Häusern in der Kreutzigerstraße wurden Neubesetzungen beendet.

... die Leute haben darin gewohnt.

Die waren drin, aber das waren Neubesetzer.

Die waren seit Monaten drin. Sie verstoßen bewußt gegen die Berliner Linie. Die Marchstraße in Charlottenburg wurde geräumt und steht immer noch leer, und auch in der Kreutzigerstraße ist weder Anschlußnutzung noch Baubeginn in Sicht.

In der Marchstraße war das Bezirksamt seit fünf Jahren nicht in der Lage – ob bewußt, kann ich nicht sagen –, einen Bebauungsplan aufzustellen. Der Eigentümer hatte aufgrund der Gesetzeslage Anspruch, den Besitz an seinem Eigentum zurückzuerhalten. Da ist kein Ermessensspielraum, ich würde mich ansonsten rechtswidrig verhalten. Und in der Kreutzigerstraße will die Eigentümerin die Häuser winterfest machen.

Bis wann wollen sie das letzte besetzte Haus in Berlin geräumt haben?

Das weiß ich nicht. Ich bin kein Hellseher.

Aber Sie sind entschlossen, das zu tun?

Ich bin entschlossen, das zu tun, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.

Fehlende Voraussetzungen haben Sie in den letzten Monaten nicht gehindert.

Doch.

Es gibt eine Berliner Linie, die Sie konsequent ignoriert haben – stumm unterstützt vom Koalitionspartner SPD, der auf Einhaltung nicht bestand.

Ich habe die Berliner Linie eingehalten – bei der Marchstraße/ Einsteinufer war die rechtliche Situation eine andere. Dort ging es um die Durchsetzung eines gerichtlich abgesicherten Eigentumsanspruchs.

Der Besitzer will abreißen – das durfte er nicht und darf es auch immer noch nicht.

Richtig. Darum geht es. Das können die zivilrechtlich mit dem Bezirk ausmachen. Rechtlich aber war für uns die Räumung klar. Ich bin dafür, daß Hausbesetzungen zu einem Ende kommen. Dafür gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Die Hausbesetzer suchen von sich aus anderen Wohnraum. Zweitens: Das Haus wird geräumt, wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Drittens: Hausbesitzer und Besetzer einigen sich auf eine Nutzung. Kommt es nicht zu einer Nutzung, wäre mir das liebste, wenn sie freiwillig ausziehen würden. Aber es kann nicht sein, daß man zurückzuckt und sagt, ach Gott, jetzt können wir nichts machen, weil es anschließend Ärger geben könnte.

Trauen Sie sich eine Dienstzeitreform und die Abschaffung der Zwölf-Stunden-Schichten bei der Polizei zu?

Berlin ist das einzige Bundesland, wo es die jetzige Dienstzeitregelung gibt. Es ist deshalb vollkommen klar, daß die Sache angegangen werden muß. Wir müssen insgesamt die Polizei vor dem Hintergrund des Stellenabbaus von zweitausend Mitarbeitern intern verbessern. Die Grundentscheidungen müssen 1997 getroffen werden. Wir müssen mit Gewerkschaften, Personalräten und der Polizei selber sprechen. Der Ausgleich für den Dienst in ungünstigen Zeiten ist beispielsweise ein wesentlicher Teil des Einkommens. Das muß man berücksichtigen – ohne daß ich jetzt eine Lösung weiß. Mir ist aber klar, daß man das nicht einfach vergessen kann.

Kommt der Senat bei der Sanierung des Haushalts im öffentlichen Dienst um betriebsbedingte Kündigungen herum?

Der Senat hat noch einmal bestätigt, daß wir keine betriebsbedingten Kündigungen vornehmen wollen. Er hat das getan, obwohl das Einsparziel beim Abbau von Personal ausgesprochen anspruchsvoll ist. Aber der soziale Frieden ist ein hohes Gut. Wir können die Verwaltungsreform auch nicht gegen die Mitarbeiter, sondern nur mit ihnen machen. Deswegen haben wir beim Personalabbau auf Anreize gesetzt wie der Sonderurlaubsverordnung für Beamte und den goldenen Handschlag.

Das heißt, Sie halten das Reduzierungsziel nicht für realistisch?

Nein, ich halte das für sehr anspruchsvoll. Ob die Einsparziele erreichbar sind, können wir in einem halben Jahr besser beantworten, wenn wir wissen, wie die Angebote der Prämienregelung und der Sonderurlaubsverordnung für Beamte in Anspruch genommen werden. Wenn sie keiner in Anspruch nimmt, dann haben wir eine vollkommen neue Lage.

Ist die Koalition gut beraten, die Bezirksgebietsreform ohne Verfassungsänderung nur mit einfacher Mehrheit durchzusetzen?

Nein. Das ist eine Rechtsauffassung, die aus meinem Hause kommt und die wir überprüfen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß wir in eine politische Diskussion hineingehen und einen Vorschlag durchsetzen, der dann möglicherweise vom Verfassungsgericht gestoppt wird.

Sie halten es für einen falschen Weg, mit einem solchen Trick die Gebietsreform durchzusetzen?

Grundsätzliche Dinge kann man nicht mit einem Trick machen, sondern muß offen darüber reden und dafür Mehrheiten finden. Die Diskussion, die Bezirke auf zwölf zu reduzieren, ist ideologisch überfrachtet. Wenn eine Sache emotional so stark besetzt ist, ist das immer ein Ausweis dafür, daß das einer intensiven Diskussion bedarf. Wenn Sie zwölf Bezirke haben, dann haben sie auch nur zwölf Kreisverbände. Das erklärt auch den großen Diskussionsbedarf. Wir haben vier Stimmen über einer verfassungsändernden Mehrheit. Wenn vier Abgeordnete dagegen sind, dann wird das nichts. Ob es der Glaubwürdigkeit der Politik hilft, ein ehrgeiziges Ziel anzugehen, von dem man weiß, daß die Gefahr des Scheiterns groß ist, weiß ich nicht.

Also Wiedervorlage nach der nächsten Wahl?

Nein, ich will nur deutlich machen, daß es schwierig ist. Sicherheit für ein Gelingen haben wir nicht. Wir müssen in dieser Wahlperiode eine Antwort geben, sonst machen wir uns unglaubwürdig. Zwölf Bezirke sind organisatorisch richtig – aber was richtig ist, muß deswegen noch längst nicht politisch durchsetzbar sein.

Interview: Barbara Junge und

Gerd Nowakowski