Knisternde Spannung in zeitgeistlicher Monotonie

■ Goran Ivanisevic steht im Halbfinale der Hannoveraner ATP-WM: Gegen sein Comicstrip-Tennis wirkt Thomas Muster wie Herbergers Läuferreihe gegen Milan

Hannover (taz) – „Irgendwann werden die Leute sagen: 2.000 Asse in einer Woche, das schaue ich mir nicht mehr an“, prophezeit Thomas Muster, der unermüdliche Kämpfer für laufbetontes Tennis. Gemeint sind vor allem solche Matches wie das des Kroaten Goran Ivanisevic gegen den Niederländer Richard Krajicek, die der Österreicher als „Links-rechts- Spazierengehen“ abqualifiziert. Wenn Muster jedoch am Mittwoch abend in der zur „Europahalle“ hochstilisierten Messehalle 2 in Hannover war, dürfte er gemerkt haben, daß seine Hoffnung nicht die besten Aussichten auf Realisierung hat. Zahlreich waren die Menschen zum Abendmatch Ivanisevic–Krajicek erschienen, und sie amüsierten sich köstlich – mehr jedenfalls als beim Auftritt des maladen Agassi, der von Sampras ausgespielt wurde und danach aufgab.

Unverdrossen beklatschten die 13.000 Zuschauer jedes der insgesamt 43 Asse beim 6:4, 6:7, 7:6-Sieg des Kroaten und freuten sich an der eigenartigen Dramaturgie, die eine solche „Aufschlag-Competition“ (Muster) zu bieten hat. Da die meiste Zeit die Monotonie eines Torwandschießens vorherrscht, sind es – ähnlich wie beim Baseball oder Fußball – die wenigen Momente der Zuspitzung und Überraschung, die den Reiz ausmachen. Knisternde Spannung bei den Tiebreaks, Begeisterung, als Krajicek einen Schmetterball erläuft und genau auf die Linie setzt, grenzenloser Jubel bei einem gefühlvollen „Lob“ des Niederländers, ehrfürchtiges Raunen, als der Ball sagenhafte zehnmal das Netz überquert. Dazwischen Comicstrip-Tennis, wie es dem Zeitgeist entspricht: Whoosh! Bang! Vorbei! Dagegen wirkt Musters Malochertennis wie Herbergers Läuferreihe gegen Milans Viererkette.

Als im Sommer 1988 ein spindeldürrer, hypernervöser 17jähriger beim Davis-Cup-Match in Dortmund an der Seite des Brachialaufschlägers Slobodan Zivojinovic auftauchte und fast das Doppel gegen die deutschen Favoriten und späteren Cup-Gewinner zugunsten Jugoslawiens entschieden hätte, ahnte man zwar, daß es sich um ein großes Talent handelte, nicht aber, daß gerade die Zukunft des Tennis aufgetaucht war. Seither hat es der durchschnittliche Spieler Ivanisevic mit seiner Aufschlaggewalt schon zur Nummer 2 der Weltrangliste gebracht (derzeit Nummer 4), während es ähnlich eindimensionalen Vorläufern wie Zivojinovic oder Roscoe Tanner stets nur zu ein paar Achtungserfolgen gereicht hatte.

27 Turniere hat der 25jährige gewonnen, was ihm fehlt, ist ein großer Wurf. Bei Grand-Slam- und Masters-Turnieren kamen ihm am Ende stets Spieler wie Becker oder Sampras in die Quere, die ähnlich gut aufschlagen, aber viel besser spielen können. Und in Wimbledon war es 1992 der geniale Returnierer Agassi, der ihm im Finale den Triumph vermasselte. Die ATP-WM wäre als Entschädigung gerade recht. Durch den Sieg gegen Krajicek hat sich Ivanisevic für das Halbfinale am Samstag qualifiziert, während der niederländische Wimbledon-Sieger heute noch ums Weiterkommen kämpfen muß. Gegner in diesem Endspiel um den Einzug ins Halbfinale ist kein anderer als Thomas Muster. Wie die Chancen stünden, wurde der gefragt. Unwirsche Antwort: „Hängt von seinem Aufschlag ab.“ Vielleicht wird's ja ein Spaziergang. Matti Lieske