Eine Frage der Erlösung

Zwei Monate nach seinem gewaltsamen Tod kehrt Rapper 2Pac als „Makaveli“ zurück. Das Album liest sich als Inszenierung des eigenen Todes  ■ Von Jörg Heiser

Es ist unheimlich. Gerade mal zwei Monate ist es her, daß Megastar-Rapper 2Pac alias Tupac Shakur in Las Vegas ermordet worden ist, da erscheint ein posthumes Album unter dem Pseudonym „Makaveli“: Und das Cover-Gemälde zeigt ihn wie Jesus ans Kreuz geschlagen.

Unheimlich ist das nicht etwa, weil seine Plattenfirma Death Row eine sehr plakative Vorstellung von Pietät hat, sondern weil 2Pac selbst Album und Cover so geplant hat. In seinem letzten Interview, zwei Wochen vor den tödlichen Schüssen mit dem US-Magazin Vibe geführt, spricht er von der geplanten CD: Er kündigt an, daß er auf dem Cover als Gekreuzigter dargestellt sein würde und erklärt zugleich, warum er sich nun nach Machiavelli nennt: „Ich vergöttere diese Art zu denken, nach der du alles tust, um dein Ziel zu erreichen.“

Aus dem Malcolm-X-Zitat „By any means necessary“ sprach die nüchterne Entschlossenheit des politischen Widerstandes, bei 2Pac wird aus dem machiavellistischen „der Zweck heiligt die Mittel“ eine Frage der Erlösung.

Der 25jährige 2Pac zwischen zwei überlebensgroßen Allegorien, die sich gegenseitig auszulöschen scheinen: Machiavelli, der Denker der politischen Macht, und das schwarze Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünden der Welt.

Das Pseudonym „Makaveli“ ist dann aber doch nicht nur blanker Widerspruch zum „Black Jesus“, sondern der Name zum Vorhaben 2Pacs, den lange schwelenden Krieg der Drohungen und Beleidigungen zwischen konkurrierenden Ost- und Westküstenrappern – der auf eine Art das Töten Schwarzer durch Schwarze in den amerikanischen Innenstädten symbolisch wiederholt – zuerst massiv auf die Spitze zu treiben, um dann in einem zweiten Schritt symbolisch die Einigung zu stiften.

Die früher latente Eastcoast/ Westcoast-Konkurrenz war eskaliert, seit 1994 in New York schon einmal auf 2Pac geschossen worden war: Er hatte den Angriff schwer verletzt überlebt und verdächtigte seitdem den Rapper Notorious B.I.G. alias Biggie Smalls, hinter dem Attentat zu stecken. Im Intro der „Makaveli“-Platte werden nun Smalls und andere New Yorker Konkurrenten wie Mobb Deep erneut beleidigt und dann „erschossen“. Es soll aber (laut dem New Yorker Hip-Hop-Organ The Source) bereits eine zweite Platte mit dem Titel „One Nation“ aufgenommen sein, auf der 2Pac mit Unterstützung von Ostküstenrappern wie Buckshot von Black Moon das Ende der Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westküste ausruft.

Daß 2Pac Opfer des Gang war zwischen den „Crips“ und den „Bloods“ (denen sein Plattenboß Suge Knight nahestehen soll) geworden ist, scheint nach allen inoffiziellen polizeilichen Verlautbarungen wesentlich wahrscheinlicher, als daß seine Ermordung mit dem Eastcoast/Westcoast-Trouble in Zusammenhang steht. So oder so aber wird sein Tod als exemplarisch für die Entwicklung des HipHop und besonders des Gangsta Rap genommen. Die Berichterstattung der US-Mainstream-Medien nach den Schüssen vom 7. September, an deren Folgen 2Pac am 13. September starb, lief zu großen Teilen auf die hämische Feststellung hinaus, daß er geerntet habe, was er säte. Konservativen Politikern wie Bush-Vize Quayle oder Präsidentschaftskandidat Dole dürfte sein Tod nach ihren jahrelangen Attacken auf das Gangsta-Rap-Genre Genugtuung und Gefahr zugleich sein: die Genugtuung, daß ein Gangsta-Rapper Opfer seines eigenen Genres geworden sei, die Gefahr, daß er darüber zum Märtyrer würde.

Die nach wie vor desolate Situation der amerikanischen Innenstädte und ihrer Ghettos, der nicht nur 2Pacs Weltsicht entsprang, verschwand zwar zunächst hinter dem Drive-By-Shooting-Geschehen auf dem Las Vegas Strip. Aber der Gedanke, daß 2Pac ermordet wurde „von demselben Schwarze- gegen-Schwarze-Wahnsinn, der ihn dazu inspirierte, seine Vorstellungskraft mit der Welt zu teilen“ (The Source), macht seinen Tod gerade nicht zum „rein schwarzen Problem“: Daß nach der vom FBI forcierten Zerschlagung der Black-Panther-Bewegung in den Siebzigern die Ohnmacht des schwarzen Widerstands so deutlich wurde, daß Black-On-Black- Crime als fataler Stellvertreterkrieg diese Ohnmacht binden mußte, bedeutet nicht, daß sich das in absehbarer Zukunft nicht wieder ändern könnte – und der Tod des Sohns der Black-Panther-Aktivistin Afeni Shakur ist zumindest die negative Ahnung eines Wendepunkts.

In The Vibe haben die New Yorker Kontrahenten Mobb Deep schon Bedauern über den Tod 2Pacs und den Wunsch nach einer Aussöhnung in der Eastcoast/ Westcoast-Konfrontation geäußert. Gerade ist ihre neue Platte „Hell On Earth“ erschienen, die noch vor dem Las-Vegas-Attentat aufgenommen wurde. Darauf befindet sich die wütende Antwort auf 2Pacs Haßtirade „Hit 'Em Up“ von der B-Seite der „California Love“-Single, auf der der Westcoast-Superstar seine New Yorker Intimfeinde mit einer beispiellosen Schärfe angegriffen und sich unter anderem über Mobb-Deep-Rapper Prodigys Sichelzellenanämie lustig gemacht hatte. Mobb Deep antworten mit der Todesdrohung „Drop the Gem“ („Clocks tick, your days are numbered ...“), die nun von der Wirklichkeit überholt worden ist.

Während die Mobb-Deep- Platte noch einmal die Schärfe der Auseinandersetzung vor Augen führt, wirkt z.B. das massive Eastcoast-Dissing auf dem aktuellen Album von Ice Cubes neuem Projekt Westside Connection nur noch wie eine vom Tod 2Pacs ad absurdum geführte wortreiche Sprachlosigkeit, die den früher schon von Ice Cube formulierten Angriff auf die Institutionen des Staats ausspart.

Mobb Deeps Todesprophezeiung hat 2Pac selbst schon viele Male vorweggenommen. In „If I Die Tonight“ vom 95er Album „Me Against The World“ oder „Ambitionz Az A Ridah“ vom diesjährigen Millionseller „All Eyez On Me“ – „I'm ready to die right here tonight“ – hat 2Pac keinen Zweifel daran gelassen, daß er mit einem frühen, gewaltsamen Tod rechnete. Quer über den Bauch hatte er „Thug Life“ tätowiert, Gangsterleben, und wenn er sich in dem Vibe-Interview zum Black Jesus der Gangster erklärt, der „Niggas who have nothing“ (und nicht etwa der, die alles besitzen), dann schließt das die Märtyrerfunktion mit ein. HipHop-Impresario Russel Simmons zieht denn auch den Vergleich mit Kurt Cobain – zwar erst mal, um 2Pacs Bedeutung als Popstar quer zu ethnischen Grenzen herauszustellen, aber dann auch, um den Unterschied deutlich werden zu lassen.

2Pacs Tod ist noch viel weniger als der Cobains einfach nur Folge des Leidens einer „verwirrten Seele“ an der Welt, wie es im Rolling Stone hieß. Er ist auf unheimliche Weise Endpunkt eines Versuchs, als eine Person die ganze HipHop-Kultur mit allen Widersprüchen zu verkörpern: rasende Wut und apokalyptischer Zynismus des Thugs, haltloser Sexismus des Supermachos und herzlich-solidarisches „Keep Ya Head Up“ an alleinerziehende Mütter, poetische Reflexion des beteiligten Chronisten und rausgeschleuderte Morddrohung (all das allerdings viel mehr auf seinem 95er Album „Me Against The World“ als auf der eindimensionaler wirkenden „Makaveli“-Platte).

Spätestens wenn in den US-Medien von weißen Eltern berichtet wird, die verzweifelt versuchen, ihre dem toten 2Pac nachtrauernden Kinder zu trösten, wird aber auch deutlich, daß das Verkörpern der ganzen HipHop-Kultur letztlich noch mehr, nämlich Pop mit allen Konsequenzen ist. Im Video zu „I ain't mad at cha“, 1996 aufgenommen, spielt 2Pac seinen eigenen Tod und trifft im Himmel Jimi Hendrix und Janis Joplin. 1996: das Jahr, in dem HipHop endgültig Pop wurde, mit Coolio und den Fugees weltweit in den Charts, ein HipHop-Album nach dem anderen in den US-Top-ten (nach „Makaveli“ und Ghostface Killah dürfte jetzt Snoop Doggy Dog mit seinem neuen Album Megaverkäufe haben). Und dem Tod des Tupac Shakur, von dem noch über 100 unveröffentlichte Stücke im Besitz seiner Plattenfirma Death Row sind und mit dem bereits zwei Kinofilme abgedreht sind, in denen er Hauptrollen spielt: in „Gridlock“ einen Junkie, in „Gang Related“ einen Polizisten.

Wenn erst einmal die Platten in die Läden und die Filme in die Kinos kommen, wird HipHop-Veteran Chuck D. nicht der letzte gewesen sein, der 2Pac mit James Dean vergleicht.