Das Portrait: Der Ehrenmann der türkischen Literatur
■ Yasar Kemal
„Laßt mich endlich in Frieden. Ich will Romane schreiben“, beklagte sich der türkische Schriftsteller Yasar Kemal vor einem Jahr, als er auf der Anklagebank des Staatssicherheitsgerichtes Istanbul saß. Doch die Herrschenden in der Türkei haben Yasar Kemal nicht in Ruhe gelassen. Zuletzt wurde der 73jährige Literat zu einer zwanzigmonatigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Der kritische Geist hatte in dem Essayband „Die Gedankenfreiheit und die Türkei“ die Unterdrückung der Meinungs- und Gedankenfreiheit kritisiert. Das sei „Volksverhetzung“ und „Aufwiegelung zum Rassenhaß“, befanden die Richter.
Kemal ist die Gängelung leid. Zumindest die nächsten Monate will er in Schweden verbringen, um in aller Ruhe begonnene Romane zu Ende zu bringen. Die Aufenthaltsgenehmigung ist erteilt. Doch von Asyl ist nicht die Rede. „Ich bin der letzte, der um Asyl nachsuchen würde“, meldete sich Kemal im türkischen Fernsehen zu Wort.
Denn dem Grandseigneur der türkischen Literatur, der wie kein anderer in der Türkei verehrt wird, wird es das Herz zerreißen, im fremden Exil dem Leiden der anatolischen Völker fern zu sein. Kemal wurde in der südöstlichen Provinz Adana geboren. Im Alter von fünf Jahren wurde er Zeuge, wie sein Vater ermordet wurde. Blutrache war das Motiv für den Mord. Aufgrund eines Unfalls im Kindesalter erblindete sein rechtes Auge.
Kemal hat nie zur Unterdrückung und zum dreckigen Krieg der Herrschenden in Kurdistan geschwiegen. „Wie einst Hitler tanzen sie auf den Knochen der Toten“, klagte er vor sieben Jahren die Regierenden an, als hungerstreikende politische Gefangene zu Tode geprügelt wurden. Auch beim Hungerstreik vor fünf Monaten scheute er sich nicht, „Mörder“ in der Staatsspitze zu benennen. Kemal war zur Stelle, als die kurdische Tageszeitung Özgür Ülke bombardiert wurde. Der Kandidat für den Literaturnobelpreis eilte zu Hilfe, wenn unbekanntere Kollegen und Journalisten in die Mühlen der Justiz gerieten.
Die in Korruptionsaffären verwickelte türkische Außenministerin Tansu Çiller nannte Yasar Kemal einst einen „Strolch“. Für die Masse der Türken und Kurden bleibt er der große alte Mann, für den Ehre und Aufrichtigkeit unveräußerliche ethische Prinzipien sind. Ömer Erzeren, Istanbul
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