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Weißrußlands Staatschef beugt sich

Präsident und Parlament in Minsk schließen auf Druck des Nachbarn Rußland einen Kompromiß. Das morgige Referendum ist nicht bindend, Lukaschenko bleibt im Amt  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

In einer eiligen Nacht-und-Nebel-Aktion gelang es dem russischen Premier Wiktor Tschernomyrdin gestern, den Konflikt zwischen Präsident und Parlament des westlichen Nachbarn Weißrußland zu entschärfen. Eine hochrangige Delegation, der auch die Vorsitzenden der beiden Häuser der russischen Duma und Moskaus Verteidigungsminister Igor Rodionow angehörten, reiste am späten Donnerstag abend nach Minsk. Um 7.15 Uhr Freitag morgen unterschrieben die Konfliktparteien einen Kompromiß, der die drohende Eskalation zumindest um einige Monate hinausschiebt.

Das für Sonntag geplante Referendum, mit dem Weißrußlands Präsident Alexander Lukaschenko seine Vollmachten erweitern und die Amtszeit um zwei Jahre verlängern wollte, findet statt. Doch das Ergebnis hat keinen bindenden Charakter. Das Parlament, das in den letzten Monaten durch das selbstherrliche und autoritäre Verhalten des Staatschefs in Minsk immer weiter in die Opposition getrieben wurde, darf mit dem ausgehandelten Resultat zufrieden sein.

Binnen zehn Tagen nimmt eine verfassungsgebende Versammlung, der je fünfzig Vertreter des Obersten Sowjets (weißrussisches Parlament) und des Präsidenten angehören, die Arbeit an einem neuen Verfassungsprojekt auf. Zugrunde gelegt werden soll jener Entwurf, dem die Wähler am Sonntag den Vorzug geben. Nach Ablauf von drei Monaten muß ein Vorschlag für eine neue Verfassung vorgelegt werden.

Auf Anordnung Lukaschenkos wurden die Wahllokale indes schon am vorletzten Sonntag geöffnet. In den ländlichen Gebieten soll bereits die Hälfte aller Wähler abgestimmt haben, in den Städten etwa ein Drittel. Berichte über Verstöße und Unregelmäßigkeiten häufen sich. In den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, berichtet der Leiter der Wohlfahrtskommission, Wladimir Antsulewitsch, gab es keine Wahlkabinen. Die Arbeiter mußten in Anwesenheit der Chefs abstimmen. Zudem wurden Wahlzettel gefunden, die es dem Stimmvolk besonders einfach machten. Statt der offiziell sieben Fragen, die auch die Alternativen der Opposition enthalten, hieß es nur: „Sind Sie für Ordnung und Wohlstand in Weißrußland?“

Als Zugeständnis an den Präsidenten stellten Parlament und Verfassungsgericht das Amtsenthebungsverfahren ein, das 73 Abgeordnete gegen Lukaschenko eingeleitet hatten. Solange die verfassungsgebende Versammlung tagt, kann der Präsident im Gegenzug die Legislative nicht auflösen, wie er es zuvor angekündigt hatte.

Friedensstifter Tschernomyrdin feierte die Einigung als einen „wichtigen Schritt“ und hob hervor, die russische Seite sei lediglich als Vermittler aufgetreten. Man wollte nicht in den Geruch geraten, Druck ausgeübt zu haben. Doch das Ergebnis spricht für sich. Einen ähnlichen Kompromiß hatte die Opposition nämlich schon zu Wochenbeginn erfolglos angeregt. Bis Donnerstag zeigte sich Staatschef Lukaschenko alles andere als kompromißbereit. Die massive Präsenz der Russen und vor allem die Teilnahme des kommunistischen Vorsitzenden der Duma, Selesnjow, signalisierte Lukaschenko jedoch, Moskau sei nicht länger willens, jegliche Selbstherrlichkeit aus Minsk hinzunehmen.

Im Frühjahr hatten Moskau und Minsk einen Vertrag unterzeichnet, der beide Länder enger aneinander bindet, aber praktisch bloße Willensbekundung blieb. Der Kreml schreckt vor einer zu engen Bindung an Lukaschenko zurück. Dessen fremdenfeindliche und antiwestlichen Ausfälle schaden nämlich auch der eigenen Reputation. Die Aufnahme des wirtschaftlich ruinierten Nachbarn käme Moskau zudem teuer zu stehen. Vor allem aber fürchten die Machthaber in Moskau, Lukaschenko würde sich auf die Seite seiner Freunde, der russischen Chauvinisten und Kommunisten, schlagen und damit die innere Machtbalance gefährden.

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