Slums müssen Narzissen weichen

Der philippinische Staatschef will Investoren ins Land locken. Noch immer lebt die Hälfte der Bevölkerung weit unterhalb der Armutsgrenze  ■ Aus Manila Jutta Lietsch

Entzückt griff der Politiker zum poetischen Vergleich: Der Anblick des „Meeres von Manager-Gesichtern“ erinnere ihn an die „goldenen Narzissen“ des englischen Dichters Wordsworth. So begrüßte Gastgeber Fidel Ramos vergangene Woche Hunderte Geschäftsleute aus Taiwan, Singapur, USA, Südkorea und anderen Ländern, die zu einem „Business-Forum“ am Rande des asiatisch-pazifischen Wirtschaftstreffens (Apec) in die philippinische Hauptstadt Manila gekommen waren.

Für den philippinischen Staatschef, der nach eigenen Worten „die Welt auf der Suche nach potentiellen Investoren bereist hat“, ist der diesjährige Wirtschaftsgipfel der 18 Pazifik-Anrainerstaaten der Höhepunkt seiner politischen Karriere. Nach Managern und Ministern empfängt er heute die Staats- und Regierungschefs in der früheren US-Militärbasis Subic Bay. Feierlich werden sie einen „Aktionsplan“ verabschieden, um ihrer Vision eines freien Handels in der Region wieder näher zu kommen. Doch Verbindliches wird er kaum enthalten.

Der Apec-Gipfel ist aber auch Balsam für die Seele des philippinischen Regierungschefs. Unter Ramos' Regierung haben viele Menschen des fernöstlichen Landes zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Hoffnung geschöpft, daß es bergauf gehen kann: Das Wirtschaftswachstum hat mit sieben Prozent sogar das der südostasiatischen Nachbarn überflügelt. Doch andererseits lebt die Hälfte der Bevölkerung immer noch im bitteren Elend weit unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.

Ausländische Investoren, die früher lieber nach Thailand oder Indonesien gingen, scheuen das Land inzwischen nicht mehr. Japanische und taiwanesische Elektronikfirmen produzieren jetzt hier. Ramos schaffte es sogar, den Einfluß der traditionellen großen Familien, die die Wirtschaft des Landes bislang wie ihr persönliches Eigentum kontrollierten, etwas zurückzudrängen. In überschwenglicher Begeisterung bezeichnete die amerikanische Newsweek die Philippinen jetzt sogar als „Asiens neuen Tiger“. Doch noch immer sind die Philippinen das zweitärmste Land der Apec-Region.

Über fünfzehn Millionen Dollar hat die Regierung von Fidel Ramos seit Anfang des Jahres in die Vorbereitung des Gipfeltreffens gesteckt: Manilas wichtigste Hauptstraßen wurden frisch geteert, Konferenzzentren renoviert, gepanzerte Mercedes-Limousinen angemietet, Polizisten in neue Uniformen gesteckt. Für den Präsidenten sind das alles nötige Investitionen, um im Licht der versammelten ausländischen Kamera-Teams bestehen zu können. „Apec ist sehr gut, dann kommen endlich die Investoren und Touristen“, kommentiert eine Beamtin optimistisch.

Für die 33jährige Emily Cano klingt das wie ein Hohn. Sie gehört zu jenen über 40.000 Slumbewohnern, die in den vergangenen Monaten vertrieben wurden: Denn die Regierung ließ nicht nur ein paar zentrale Straßen reparieren. Sie wollte auch verhindern, daß die Augen der potentiellen Geldbringer und Delegierten auf Unschönes fielen. So wurden — oft nur nach extrem kurzer Vorwarnung — mehrere Slums niedergewalzt. Auch die Zigarettenverkäufer ließ die Regierung aus dem Zentrum von Manila vertreiben.

„Sie haben uns gesagt, wir verschandeln die Gegend“, sagt Emily bitter. Mit über zweihundert Familien hat sie an der Kathedrale von Manila Schutz gesucht. Jetzt harrt sie zusammen mit dutzenden Frauen, Männern und Kindern in einem Zelt auf engem Raum aus. „Der Monsignore hat gesagt, wir sollten weggehen, wir stören die reichen Kirchenbesucher“, empört sich Emily Canos Mann. Eine Franziskaner-Nonne, die neben ihnen auf einem hölzernen Bettgestell sitzt, nickt.

Emily Cano glaubt nicht daran, daß sich mit ausländischen Investoren etwas ändern wird. Ihr Nachbar ist aus einer Sozialwohnung vertrieben worden, die von der staatlichen Wohnungsbehörde an taiwanesische Investoren verkauft und daraufhin gewaltsam geräumt worden war. Sie glaubt nur an eine einzige Möglichkeit: Sie muß im Ausland arbeiten, wie schon in den vergangenen zehn Jahren. Hausangestellte in den Golfstaaten – das sieht die obdachlos gewordene Frau als einzige Chance, um ihren seit kurzem arbeitslosen Mann und die zwei Kinder zu versorgen.

Emily Cano ist kein Einzelfall. Über vier Millionen philippinische Arbeitsmigranten schicken inzwischen ihr Geld regelmäßig in die Heimat. Bislang ist das eine der wichtigsten Einkommensquellen für die Philippinen.