Frust und gute Tat

■ Hermann Kleemeyer gehört zur ersten Männer-Hospiz-Gruppe

Ob er lieber eine Frau oder einen Mann beim Sterben begleiten möchte, hat sich Hermann Kleemeyer nicht überlegt. Wenn er auf diese Frage antworten soll – dann vielleicht eher einen Mann. „Ich denke da an die Pflegetätigkeiten. Wenn ich eine Frau auf den Topf setzen muß, dann empfindet sie dies womöglich als unangenehm.“ Hermann Kleemeyer möchte jedoch nicht in erster Linie pflegend tätig werden, sondern „psycho-sozial betreuen“. Diesen Begriff benutzt er seit zwei Monaten. Hermann Kleemeyer ist Mitglied der (bundesweit ersten) Männergruppe der Bremer Hospiz-Hilfe.

Zwölf Bremer zwischen 20 (ein junger Punk) und 65 Jahren wollen demnächst Sterbende in ihren letzten Wochen oder Tagen regelmäßig zu Hause besuchen und mit ihnen bis zu acht Stunden pro Woche verbringen. Solcherart ehrenamtliche, ambulante Hospiz-Arbeit (die im Gegensatz zur stationären weitgehend unumstritten ist) wird typischerweise von Frauen übernommen. Hermann Kleemeyer, 40, nicht verheiratet, schloß sich zum ersten Mal in seinem Leben einer Männergruppe an. „Es hätte aber auch eine gemischte sein können“, sagt er und überlegt, ob er – dem Klischee entsprechend – wie viele ehrenamtlich sozial arbeitende Frauen ein Helfer-Syndrom habe.

Wenn ja, hat Hermann Kleemeyer auf jeden Fall auch ein pragmatisches Bewußtsein für sein Engagement: Er nennt es die „gute Tat“, die sich daran messe, daß er „ohne Entgelt seine knappe Zeit zur Verfügung“ stelle. Kleemeyer, ein Chemiker, war früher außerdem Materialist und ist jetzt Buddhist, wie er gleich anfügt. Buddhismus wie Materialismus haben ihn dazu gebracht, über den Tod nachzudenken und über das „Danach“ zu philosophieren. Direkt konfrontiert mit dem Sterben war der angehende Hospiz-Helfer bislang nur einmal: Im letzten Jahr starb sein Vater. Kleemeyer war bei seinem Tod nicht zugegen.

Ein schlechtes Gewissen darüber, das Wissen um Defizite, die auf der Religiosität fußende fehlende Angst vor dem Tod, der Wunsch etwas Gutes zu tun – Hermann Kleemeyer findet viele Mosaiksteine für seine Hospiz-Motivation und ist sich nicht zu schade, zu resümieren: „Da ist totaler Egoismus dabei. Ich erhoffe auch etwas für mich. Ich möchte von den Sterbenden lernen – ich kann schwer beschreiben, was.“

Diese Ehrlichkeit wurde Kleemeyer bei den Treffen der Hospiz-Männer-Gruppe nicht ausgeredet. Pastor Dieter Tunkel, der Leiter der Bremer Hospiz-Hilfe, habe ihn in den bisherigen Treffen der neuen Hospiz-Gruppe gar in seinem Zwiespalt bestärkt. „Ob es den Menschen etwas bringt, ob es mir etwas bringt – das ist nicht objektivierbar.“

Vier Wochenenden und vier Abendtermine umfaßt die „Ausbildung“ zum ehrenamtlichen Hospiz-Helfer. Hermann Kleemeyer glaubt, daß er danach „nicht fertig“ ist, aber vielleicht einschätzen kann, ob er sich als Sterbebegleiter eignet. Präsent geblieben sind dem „Azubi“ in der Theorie dabei vor allem neue Erkenntnisse wie der typische Sprachschatz von Sterbenden oder die sogenannten Sterbephasen, die vom ersten Nicht-wahrhaben-wollen bis zum Loslassen reichen.

Letztes Wochenende machte Hermann Kleemeyer dann den ersten Schritt in die Praxis (er nennt ihn den „ersten Einsatz“) und erlebte den ersten Frust: Der Ehemann einer schwer krebskranken Frau wollte ihn nicht als Gesprächspartner akzeptieren. „Ich stand ihm da im Krankenhaus gegenüber, und in seinem Gesicht war nur Ablehnung zu lesen: Er, so Anfang 60, soll mit einem grünen Jungen seine intimsten Probleme besprechen?“ Auch Kleemeyer fühlte sich etwas fehl am Platze und verzichtete. Hermann Kleemeyer will es versuchen mit der Hospiz-Hilfe. Nächstes Wochenende steht die Entscheidung an. sip