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Endzeitstimmung am großen Fluß

Auch viele Einheimische haben das Kriegsgebiet in Ostzaire verlassen. Ihr Irrweg durch die Wälder zeugt vom Zerfall des Landes  ■ Aus Kisangani Rupert Neudeck

Die Straße vom Flughafen nach Kisangani im tiefsten Zaire, der Provinzhauptstadt von „Haute- Zaire“, ist ein Wunder. Einfach eine Unverschämtheit. Achtzehn Kilometer Teerstraße, ohne Löcher oder Risse. So was gibt es im riesigen Zaire, in das Deutschland siebenmal reinpassen würde, eigentlich nicht. Der zairische Fahrer von der „Episcopal Church of Zaire“ rast diese achtzehn Kilometer voller Hingabe. Nirgendwo sonst könnte er das tun. Verbindungen über große, lange Straßen oder auch nur funktionierende Pisten über längere Strecken gibt es nicht mehr. Die Straße führt am Zaire-Fluß entlang, einst Kongo genannt, ein wunderbar majestätisch einherfließender Strom, Lebens- und Nahrungsspender.

Eine Stunde später zuckt Raymond Mokeni Ekopi, Präsident der örtlichen Handelskammer in Kisangani, nur mit den Schultern, als er gefragt wird, ob man nicht Nahrungsmittel in der Umgegend zur Versorgung der Kriegsflüchtlinge kaufen könnte: das würde ja auch der einheimischen Wirtschaft helfen. „Schreiben Sie das bitte auf“, sagt er gebieterisch. „Ich habe eine große Plantage in Pala, das ist 400 Kilometer entfernt. Vor fünfzehn Jahren bin ich dorthin noch in elf Stunden durchgefahren. Heute – schreiben Sie das auf, Sie sind Journalist! –, heute brauchte ich dazu drei Monate!“ Und bei der letzten Fahrt seien von sechs Lastwagen zwei auf dem Rest von Straße verlorengegangen.

So hat Zaires Diktator Mobutu Sese Seko das Land in 31 Jahren zugrunde gerichtet. Er hat die Gelder, die da kamen aus Steuern oder Entwicklungshilfe oder dem Privatfonds von Franz Josef Strauß, in die eigene Tasche gesteckt. Dem Westen war es egal, denn Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa za Banga, wie er sich mit vollem Namen nennt – „Mobutu, der wegen seiner Ausdauer von Sieg zu Sieg schreitet“ –, lag politisch immer richtig. Nie hat er nach Moskau geschielt. Das hat ihm viel genützt. Seinem Land nicht.

Unternehmerchef Mokeni war dabei, als fünf Tage vor dem Gespräch mit ihm der erste Rettungskonvoi aus dem Bürgerkriegsgebiet in Ostzaire in Kisangani auftauchte. Es waren plündernde Soldaten der zairischen Armee. Sie waren Hunderte von Kilometern durch den Wald gekommen. Mokeni gab den Soldaten Benzin, damit sie mit ihren stehengebliebenen Pannenautos wieder wegfahren könnten. Die Autos waren natürlich alle geklaut. Mokeni weiß, daß man den Plündermilitärs ein wenig entgegenkommen muß.

Aus Ostzaire ist es ein weiter Weg nach Kisangani: von Goma 550 Kilometer, von Bukavu 740, von Uvira fast 1.000. Die Soldaten, die da in ihren kaputten Autos auftauchten, waren nur die Vorhut. Hinter ihnen kommen Hunderttausende. Von den über vier Millionen Bewohnern der beiden ostzairischen Provinzen Nord- und Südkivu sind eine Million unterwegs. Das sagen die Mwamis, die traditionellen Könige der Region, die sich in der zairischen Hauptstadt Kinshasa aufhalten. Die Bewohner Kivus fliehen vor den Kämpfen in den Urwald – Hunderte von Kilometern unwegsamer Regenwald. Zu Fuß dauert der Weg nach Kisangani drei Wochen. Viele blieben unterwegs erschöpft und ausgetrocknet liegen.

Die erste Gruppe von „déplacés“, Binnenflüchtlingen, die nicht verreckt sind, liegt im Krankenhaus von Kisangani. Das Gebäude ist eine Ruine, es wurde von der Regierung nie fertiggestellt. Zu erreichen ist es über eine drei Kilometer lange Piste, die früher mal Straße war und jetzt von Elefantengras überwachsen ist.

Nun liegen hier 890 Menschen in nackten Räumen ohne Fenster auf dem Betonboden, ohne Decken, ohne Wasser, ohne richtige Nahrungsversorgung. Fast alle kommen aus Bukavu. Sie verließen ihre Heimatstadt an der Grenze zu Ruanda am 29. Oktober. Keine internationale Organisation hat sie wahrgenommen, anders als die halbe Million, die aus Zaire nach Ruanda gegangen sind.

„Wir dachten, bei jeder Katastrophe wird die UNO tätig“, sagt der erschöpfte Eddy Kasandji, der sich mit ein paar anderen am feuchten Morgen Tee macht, während draußen der tropische Regen pladdert. „Aber jetzt“, sagt er und kreuzt demonstrativ die Arme, „jetzt verschränkt die UNO die Arme und läßt uns hier sterben!“ Alle Umstehenden stimmen zu.

Die Vertriebenen erzählen, wie sich die zairische Armee angesichts der schmachvollen Niederlage gegen die Banyamulenge-Rebellen, die Bukavu damals zusammen mit Goma und Uvira einnahmen, an der eigenen Bevölkerung schadlos hielt. Viele junge Frauen wurden vergewaltigt. Junge Studenten erzählen, wie die Soldaten Leute nackt auszogen. Trotzdem hätten sie selbst nicht bleiben wollen. Diese Tutsi-Rebellen unter Laurent Kabila, der ja nicht einmal selber Tutsi ist – unter denen, sagen sie, wollen sie nicht leben. „Deshalb sind wir doch geflohen!“

Jetzt sind sie in eine Stadt gekommen, in der sie sich auch nicht sicher fühlen können. Denn die Armee, die sie mißhandelte, kam bei der Flucht mit. Die Bewohner und die Flüchtlinge sind gut beraten, ab 19 Uhr zu Hause zu bleiben. Die herumstreunenden Soldaten machen die Stadt unsicher.

Das ist das ruhmlose Ende einer Armee, die wie kaum eine in Afrika von Ost und West immer wieder Unterstützung bekam. 1980 kamen vierzig chinesische Militärberater nach Kisangani, um eine „Shock Force Brigade“ aufzubauen. 1976 kaufte sich Mobutu fünf französische Mirage-Kampfflugzeuge, die irgendwann so hinüber waren, daß sie zur Reparatur wieder nach Frankreich gebracht wurden, wo sie immer noch sind – vielleicht sind sie inzwischen wieder verkauft worden, wie ja auch Soldaten in Goma und Bukavu tonnenweise Munition und Gewehre verkauft haben.

Was noch von der Luftwaffe übrig ist, nutzen Generäle zusammen mit libanesischen Händlern zum Gold-, Diamanten- und Waffenverkauf. So laufen in der zairischen Hauptstadt Kinshasa heute die Art von zwielichtigen Gestalten herum, die sich früher nur in Apartheid-Südafrika sehen lassen durften. Auf dem Flughafen Ndili bei Kinshasa kann jeder auf das Flugfeld, auch mit dem Auto, jeder kann ungestört in einen Jumbo oder eine Ilyuschin Waffen ein- oder ausladen.

Die Bürger in Kishasa halten sich nicht mehr an diesen Staat. Sie wissen längst, daß der Staat in Zaire Ressourcen vernichtet. Sie haben viele kleine Selbsthilfegruppen gegründet – Selbstheilungsgruppen, Zeitungen, Radios, Spinnereien. Madame Salua Nour hat schon 1990 eine Gesellschaft namens „Foleza“ gegründet, die Initiativen zum Wiederaufbau der kaputten Straßen fördert. Früher im Namen der Friedrich-Naumann-Stiftung, heute unter dem Dach der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Geschenkt wird aber nichts: An der selbstreparierten Straße treiben dann Bürger selbst die Gebühren ein. Inzwischen gibt es auch Gruppen, die sich um die Umwelt kümmern, die von Holzabbau und Bergbau schwer geschlagen ist. Sie bekommen leuchtende Augen, als sie im Café von den deutschen Grünen und der Heinrich-Böll- Stiftung erfahren. Aus Deutschland kannten sie nur die Hanns- Seidel-Stiftung und Franz Josef Strauß, den „grand ami“ von Mobutu.

Jetzt kommen andere westliche Politiker nach Kisangani. Der französische Staatssekretär für humanitäre Angelegenheiten, Xavier Emmanuelli, früher mal Präsident von „Ärzte ohne Grenzen“ in Paris, reist ein in einem Flugzeug der französischen Regierung. Als Vertreter Frankreichs, Freund Zaires, bekam er die Genehmigung, das Flugzeug mit einer Zwischenlandung zwecks Auftanken in Entebbe, dem Feindesland Uganda, direkt nach Kisangani fliegen zu lassen. Darin sitzen jetzt das Internationale Rote Kreuz, „Ärzte ohne Grenzen“ aus Frankreich, die lokale katholische Caritas und eine Organisation aus Kisangani, „SOS Nutrition“. Sie bringen den zweiten Konvoi aus vier Lastwagen nach Lubutu tief in der Provinz, wo 70.000 Vertriebene lagern. Zwei der Lastwagen sollen weiter nach Walikale, das schon in der Nachbarprovinz Nordkivu liegt, wo ebenfalls zairische Kriegsflüchtlinge angekommen sind. Begleiter des Konvois sind der Provinzgouverneur Lombeya Bosongo Likund Rio und der französische Diplomat Bernard Sexe. Während die Welt auf Ruanda starrt, kann sich Frankreich rühmen, als erster die zweite, die zairische Katastrophe wahrgenommen zu haben. Das kann sich später diplomatisch auszahlen.

„Immer wieder spricht man, wenn man vom Osten Zaires redet, ausschließlich von den ruandischen Flüchtlingen“, sagt Zaires Premierminister Kengo wa Dondo in Kinshasa. „Man vergißt einfach die Zairer dabei. Selbst wenn jetzt alle Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren – die Zairer haben das wenige, was unser Volk noch hat, mit den Flüchtlingen geteilt. Die Hilfe der internationalen Gemeinschaft geht ausschließlich an die Flüchtlinge und nicht an unser Volk. Und ich finde das ungerecht.“

Kengo wa Dondo hat nicht viel Macht. Studenten in Kinshasa fordern lautstark auf Demonstrationen seinen Kopf, weil er eine Tutsi- stämmige Mutter hat. Aber der Nationalismus in der Hauptstadt wächst nur, weil man da die Leute mit wenig Geld auf die Straße hetzen kann. Ansonsten herrscht Endzeitstimmung. Die Ära Mobutu geht unwiderruflich zu Ende. Der faulende, stinkende Staatsapparat funktioniert genausowenig wie die Armee, und alle wissen es.

Der Verfall der Armee ist mit Händen zu greifen: Vor zehn Tagen gab es in Kisangani einen Zwischenfall, als eine Truppe von 110 Soldaten auf einen Flieger nach Kinshasa wollte. Sie stiegen in voller Kriegsmontur in ein Flugzeug der „Zaire Express“, bevor sie merkten, daß der Flug nach Kindu (Haute-Zaire) gehen sollte. Dort hat die Armeeführung ihr Hauptquartier aufgeschlagen und plant angeblich den Gegenangriff auf das verlorene Kivu. Zurück an die Front wollten die Soldaten nicht. Sie gerieten in Panik, alle rannten davon, manche fingen an zu schießen. Ein belgischer Kameramann erhielt einen Streifschuß, weil er sich im Flughafengebäude nicht schnell genug hinlegte. Das ist Zaire heute. Ein Priester erzählt, die Leute würden ihn öfter fragen: „Sango Ntando nisi independance esili?“ – Pater, wann ist endlich die Unabhängigkeit vorbei?

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